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Renchtal

Freie Bahn

Am Donnerstag war ich nach fünf Jahren erstmals wieder bei meiner eigentlichen Zahnärztin in Steinach. Ein weiterer Meilenstein für mich! Sie hat nur Zahnstein entfernt, es lief alles glatt. Aber man weiß da vorher ja nie. Die Fahrt und die Aufregung zusammen haben schon Kraft gekostet. Zwei Tage Pause sind danach auch völlig okay.

Heute wache ich auf und hab wieder Lust, was zu machen. Das Wetter ist auch ganz angenehm. Also los, ab in den Sattel!

7:10 Uhr, der Schwung wird direkt vor der Haustür wieder ausgebremst. Sonntag morgens, kein Mensch unterwegs. Aber meine Ampel wird nicht grün. Ich warte und warte. Der Roller wiegt mitsamt mir und Ausrüstung 240kg. Das sollte doch reichen, um ein Signal auszulösen? Vielleicht schläft die Ampel auch noch. Als die Fußgängerampel das dritte mal grün zeigt und hinter mir doch inzwischen zwei Autos stehen und hupen, fahre ich halt bei rot drüber.

Heute zieht es mich in Richtung Renchtal. Also Durbach, dann über den Berg. Unterwegs halte ich einfach bei der nächsten Gelegenheit an, wenn ich was Schönes sehe. Das ist meine liebste Art zu reisen, und bei so wenig Verkehr ist das kein Problem.

7:45 Uhr – ab Oberkirch ist die Straße super ausgebaut, aber ich hab ja Zeit. Also fahre ich bei Lautenbach gleich wieder runter. Hier kenne ich mich kaum aus, obwohl es ja nicht weit ist. Man hängt einfach in seinen Gewohnheiten.

Mit der Bahn bin ich die Strecke oft gefahren, da ist es eine schöne, aber lange Reise. Der Wagen hält an jeder Milchkanne. Jetzt mit dem Roller wirkt es auf mich, als wäre das Tal eingeschrumpft. Wie, schon kurz vor Oppenau? Es ist immer noch schönes Morgenlicht. Also beschließe ich, rechts hoch zu fahren in Richtung Kalikutt. Vielleicht hab ich da oben eine schöne Sicht aufs Tal und die Berge?

8:15 Uhr, es geht steil bergauf durch den Wald, da hat der Motor zu arbeiten. Kurz drauf komme ich oben an. Eine schöne Landschaft, aber Aussicht gibt es hier überhaupt nicht. Ich stibitze unterwegs zwei Sauerkirschen von einem Baum, um die Enttäuschung zu verarbeiten. Hmm, lecker, es funktioniert! Also wieder talwärts.

9:15 Uhr. In Oppenau sage ich einer Freundin hallo, wo ich schon mal da bin. Schön, dass mir sowas jetzt auch wieder möglich ist! Dann geht die Reise weiter. Ich fahre die Oppenauer Steige hoch. Eine 1a-Motorradrennstrecke, aber rasen können und wollen weder ich noch der Roller. Sehr gemütlich schraube ich mich aufwärts bis zu einem Gleitschirm-Startplatz. Hier hab ich auch meine Aussicht, und die genieße ich ausgiebig.

10:15 Uhr. Und nun? Ich könnte über Bad Griesbach und das Renchtal zurück fahren. Oder zum Kniebis und dann über Bad Rippoldsau ins Kinzigtal runter. Das wird aber ein ganz schöner Ritt. Was, wenn mir unterwegs die Kräfte und die Konzentration ausgehen? Ich hab da ordentlich Respekt. Aber mit immer 100% Vorsicht hätte ich heute den großen Roller nicht.

Also auf gehts! Ich mag die Gegend und die Atmosphäre hier oben am Kniebis. Lichte Nadelwälder, windschiefe Birken in weitläufigen Wiesen, knorrige Baumstümpfe. Fast eine Art Taiga- und Tundra-Landschaft. In einem Waldweg stelle ich den Roller ab und mache ein Nickerchen. Gut, wenn man ein paar Sitzkissen dabei hat!

11 Uhr, ich rolle abwärts nach Bad Rippoldsau, immer der Wolf entlang. Hier war ich wirklich nicht oft in meinem Leben, und noch nie selber gefahren.

Irgendwo auf der Strecke nach Schapbach müsste der alternative Wolf- und Bärenpark sein. Und tatsächlich ist er kaum zu übersehen. Ein großer Parkplatz lässt vermuten, dass der Park gut angenommen wird. Ich hab ja meine Kameras dabei. Wie großartig wäre es, wenn ich ein paar Fotos von Bären oder Wölfen machen könnte! Okay, es ist nicht Wildlife, aber die Tiere haben hier ordentlich Platz und können sich zurück ziehen. Nur leider geht der Weg in den Park ziemlich steil bergauf. Keine Chance für meine kranken Muskeln! Und so muss ich schweren Herzens weiter ziehen.
Inzwischen hab ich gegoogelt und die bieten eine Rundfahrt an für mobilitätseingeschränkte Besucher! Ich schätze, das werde ich mir mal gönnen.

12 Uhr, weiter geht es abwärts. Ab Oberwolfach kenne ich mich wieder besser aus. Und ich weiß, dass es in Wolfach direkt an der Kinzig das Flößerpark-Bistro gibt. Das zieht natürlich! Als ich ankomme, ist es tatsächlich geöffnet. Ich genieße einen Flammkuchen und die gemütliche Atmosphäre am Wasser. Herrlich! Einen Moment überlege ich mir noch ein Stück von der Schwarzwälder hinterher zu genehmigen, aber man muss es echt auch nicht übertreiben.

Statt dessen rolle ich weiter. Auf der Strecke von Wolfach nach Fischerbach hab ich damals nach dem Führerschein im Grunde genommen das Autofahren gelernt. Schmale, kurvige Straße, gestresster Berufsverkehr, kaum Tempolimits. Mein Schutzengel von damals baut wahrscheinlich heute noch Überstunden ab. Und heute bin ich so ein Angsthase in den Kurven!

13:15 Uhr. In Fischerbach besuche ich einen alten Freund und seine Familie. Auch die hab ich seit Jahren nicht mehr gesehen. Nebenbei gibt mir das Gelegenheit für ein weiteres Päuschen. Dann schwinge ich mich wieder in den Sattel und fahre direkt über die B33 mit größtenteils Tempo 100 nach Hause. Da duckt man schon den Kopf hinter den Windschild, aber es klappt ohne Probleme.

Nachbesprechung

15 Uhr – das waren heute knapp 130km, ich war acht Stunden unterwegs. Ein neuer Rekord! Da öffnen sich völlig neue Welten grade.

Und ja, natürlich kommt da eine Stimme, die vorsichtig fragt, ob ich nicht auch wieder arbeiten könnte, wenn denn solche Touren möglich sind.
Aber erstens brauche ich nach solchen Touren ein paar Tage Pause. Fünf Tage Anstrengung am Stück würden nicht funktionieren.
Zweitens hab ich keine Ahnung, wie lange es mir so gut gehen wird. Die nächste Erkältung oder Covid-Infektion werden das zeigen.
Und drittens wäre das der Fehler, den viele ME/CFS-Kranke (manchmal notgedrungen) machen: 95% der verfügbaren Energie in den Job zu stecken, um wenigstens halbwegs die Erwartungen dort zu erfüllen. Und mit den restlichen 5% kaum noch privaten Haushalt, Papierkram, Einkaufen zu schaffen, von sozialem Austausch oder gar Hobbies ganz zu schweigen.

Ich hab das Thema schon auf dem Schirm, aber ich bin noch sehr weit von einer Arbeitsfähigkeit entfernt. Das merke ich immer spätestens, wenn ich mit anderen Menschen zusammen was unternehmen möchte. Dann fällt mir erst so richtig auf, wie eingeschränkt ich immer noch bin. Oder wenn ich vor dem Wolf- und Bärenpark stehe…

Also halte ich mich erst mal an das alte Sprichwort:
Genieße in der Zeit, dann hast du in der Not! 🙂

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