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Zielfoto

Zielfoto oder der ‚Weg ist das Ziel‘?

Die meisten professionellen Landschaftsfotografen arbeiten so:

  1. Im Kopf taucht ein bestimmtes Foto auf, eine Idee. Das nennt man ‚Zielfoto‘
  2. Dann beginnt die Recherche: Anreise, Uhrzeit, Wetter, Sonne, Mond, Vegetation, Topgraphie, Verkehr und was weiß ich noch alles.
  3. Zum ermittelten perfekten Zeitpunkt reist man an den Ort und baut sein Equipment auf.
  4. Man macht das Foto. Und sicherheitshalber noch ein zweites.
  5. Man fährt nach Hause.

Das ist ungefähr das Gegenteil von mir. Manchmal hab ich schon eine Idee im Kopf, aber die hält oft genug nur, bis ich aus Offenburg raus fahre und die realen Gegebenheiten sehe. Wo hängt der Nebel? Wie ist das Licht? Oder ich entdecke unterwegs etwas aus dem Augenwinkel, halte an und mache Fotos. Der Weg ist so oft spannender als das Ziel! Und klar, natürlich auch deshalb, weil viele besonders tolle Orte für mich kräftemäßig gar nicht erreichbar wären.

Gestern Abend hat sich aber doch mal so eine Zielfoto-Idee festgesetzt: Die Burg Geroldseck, von der aufgehenden Sonne angestrahlt, während im Hintergrund der (Fast-)Vollmond untergeht. Diese Konstellation kommt nicht so oft vor, schon gar nicht mit klarem Himmel, aber heute sollte das passen!

Ich hatte den Wecker todesmutig auf 4:30h gestellt, aber um 4:15h will eh die Blase Entlastung. Ich weiß nicht, ob ihr da klar war, dass sie sich hinterher nicht mehr wird hinlegen dürfen. 🙂
Also los gehts! Ich frühstücke, packe den Kram zusammen und um kurz nach fünf bin ich ‚on the road‘.

Ich muss mich ein bisschen beeilen, deshalb nehme ich die B33. Kopf einziehen und Gas geben! Dann die Abzweigung bei Biberach. Oben schaue ich noch mal auf die Planungs-App und positioniere mich.

Und es passt tatsächlich perfekt! Dick und rund steht der Mond knapp über der Burg. Was für eine wundervolle Atmosphäre! Nach zehn Minuten kommen die ersten Sonnenstrahlen und färben die Burgmauern orange. Volltreffer! Ich hatte es ja so geplant, aber jetzt stehe ich doch mal wieder da und staune einfach nur über die Schönheit der Natur!

Was mache ich als nächstes? Der Steinbruch gegenüber mit den Wanderfalken ist heute geschlossen, da Sonntag. Ich könnte zurück fahren. Oder einen ‚kleinen‘ Schlenker machen. Runter nach Seelbach, dann das Schuttertal hoch, Schweighausen, dann nach Steinach runter und durchs Kinzigtal nach Hause. Wär spannend, aber schaffe ich das?

Ach, Augen zu und durch! Ich fühle mich gut heute. Und so rolle ich gemütlich den Berg runter. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob das Benzin bis nach Hause reicht. Laut Bordcomputer auf jeden Fall, aber ich weiß noch nicht, wie sehr ich dem trauen kann. Und so halte ich bei einer Tankstelle in Seelbach an. Mist, geschlossen! Ich sehe ein Schild: Sonntags ab 7 Uhr.

Na das passt doch! Ich setze mich das fehlende Viertelstündchen am Ortrand hin und genieße die Sonne. Dann tanke ich, nehme noch eine Semmel und etwas Schokolade mit. Ich hab zwar ein Vesper eingepackt, aber auch ich selbst will unterwegs nicht liegen bleiben.

Am Ortsausgang muss ich gleich noch mal anhalten. Was ist denn das hier? Drehen die ‚Hobbit, Teil 5‘ hier? Auf der einen Straßenseite ist ein Campingplatz, auf der anderen haben sie seltsame Baumhäuer hin gestellt. Als ich vor zwanzig Jahren mit Rad und Zelt unterwegs war, waren Campingplätze ein Stück eingezäunter Rasen mit Toilettenhaus und Duschmöglichkeit. Wenn man Glück hatte. Wirklich erstaunlich!

Dann geht es talaufwärts. Wittelbach, Schuttertal, Schweighausen. Meine Güte, ist das schön hier! Ich halte immer mal wieder an und mache ein paar Fotos, lasse die Stimmung auf mich wirken. Was ist das für ein Luxus, den ich da grade hab? Ich bin soo dankbar!

Bald darauf komme ich auf der Höhe an. Ich liebe die Stimmung hier oben im Schwarzwald! Ich setze mich neben einem Windrad an den Waldrand und vespere, lasse die Seele baumeln. Ein Stück weiter parkt ein Campingbus, der Fahrer genießt sein Frühstück in der Sonne. Das ist echt Urlaub hier oben!

Nach einer Weile sattle ich wieder auf. Jetzt geht es abwärts nach Welschensteinach. Ein besonderer Ort für mich. Damals in der Schule brauchten wir Geld für die Klassenfahrt. Ein Mitschüler hatte gute Connections und zog einen Deal an Land: Die ganze Klasse wurde eingespannt, um Prospekte rund um Haslach zu verteilen.

Das Filetstück war Hausach-Hegerfeld mit den Wohnblocks. Einmal die Straße runter und 200 Flyer versenkt. Mein Banknachbar und ich waren in der Hackordnung eher unten. Und so wurde unser Los Welschensteinach. Fünf Kilometer mit dem Rad bis Steinach. Und dann das lange Tal aufwärts. Alle paar hundert Meter ein Briefkasten eines Hofes links oder rechts der Talstraße. Nach fünf Kilometern ständig bergauf, die Prospekte auf dem Gepäckträger, kam man überhaupt erst im Dorf an, und dann begann die eigentliche Arbeit. Ich erinnere mich an Prospekte, die sich im Schneeregen langsam aufgelöst haben, bevor wir überhaupt fertig waren.

Ich weiß nicht, wie oft mein Freund und ich diese Route gemacht haben. Wir waren halt gesetzt. Und irgendwann war mir das auch recht. Es war zwar mühsam, aber ich kannte die Ecke und wusste, wo die Briefkästen oder aggressive Hunde sind. ‚Better the devil you know‘ sagt man so schön. Das sagt schon was über mich aus.

Ach, ich werde sentimental. Also fahre ich weiter. In Steinach statte ich noch einem Freund einen Spontanbesuch ab und leiste ihm Gesellschaft bei seinem Frühstück im wunderschönen Garten. Ja, normale Menschen stehen am Sonntag nicht um halb fünf auf. Dann breche ich auf und fahre nach Hause.

Em Ende sind es knapp 90 Kilometer, ich war fünfeinhalb Stunden unterwegs. Und als ich in den Hof rolle, hab ich eigentlich gar keine Lust, abzusteigen. Ich bin sooo froh, dass ich das mit dem größeren Roller gemacht hab!

2019 hatte ich mir den Rollstuhl mit dem Zuggerät gekauft. Damit konnte ich wieder selbständig einkaufen gehen oder an den Ortsrand fahren und wenigstens in Grüne raus gucken.
2020 der NIU und ich kam wieder raus in die Natur, in den Wald, an einen See. Zumindest im Umkreis von 15 Kilometern.
Und jetzt, 2024, hab ich anscheinend ein weiteres Kapitel aufgeschlagen. Ich hoffe, meine Gesundheit spielt weiterhin so gut mit wie in den letzten Wochen!

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