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Wer ist das?

Wenn das Fernsehprogramm abends nicht viel hergibt, lande ich öfters bei youtube. Neulich fand ich auf diese Weise das Video einer Fotografin, die erklärt, worauf man bei der Boudoir- und Aktfotografie achten muss.

Eigentlich finde ich das Sujet nicht besonders spannend, weil meistens nur mehr oder weniger nackte Körper gezeigt werden, ohne Kontext, ohne Geschichte, ohne Persönlichkeit. Ich sehe da einen Menschen, aber wer ist das? Der Vorteil von Models gegenüber Schaufensterpuppen scheint mir bei manchen Fotografen hauptsächlich darin zu liegen, dass Models ganz von selbst die ‚richtigen‘ Posen einnehmen: Arme und/oder Beine diagonal halten, auf Kurvenverläufe achten, nicht mit dem Arm das Gesicht abschatten. Lauter Regeln, die fotografisch Sinn machen. Aber die Posen, die da raus kommen, sind halt vollkommen künstlich. Kein Mensch bewegt sich so im richtigen Leben. Mit diesem Thema beschäftige ich mich ja schon länger.

Yuliya Panchenko, die Fotografin im Video, erklärt auch all diese üblichen Details, und ich will schon weiter klicken. Dann warte ich einen Moment. Zum einen hat sie eben was gesagt, das bei mir sofort ‚klick‘ gemacht hat: Der Schlüssel, wenn man Menschen fotografiert, ist nicht das Licht, sondern es sind die Schatten. Sie machen den Körper räumlich und geben Dynamik. Vor allem auf die muss man als Fotograf achten.

Zum zweiten wundere ich mich über ihren doch seehr tiefen Ausschnitt unter dem Blazer. Für einen Fotografen, der ja einen Job macht, deutlich zu provokant. Oder geht es darum, dass sich das Model besser fühlt? Mehr Augenhöhe vielleicht?

Nach über sieben Minuten geht es in dem Video von der Theorie zur Praxis. Und sie zieht Blazer und Rock aus und sitzt in Unterwäsche selbst vor der Kamera! Logisch, stand ja auch im Video-Titel: ‚Self-Portrait Boudoir‘. Trotzdem bin ich perplex.

Ja, sie ist eine attraktive Frau und muss sich nicht verstecken. Aber sie ist auch keine 20 mehr. Und sie ist ja vor allem die Fotografin. Models zu fotografieren ist anscheinend das, womit sie ihr Geld verdient. Sie könnte locker jemand anderes sich ausziehen lassen. Aber nein, sie macht es selber und huscht zwischen Kamera und Hocker hin und her. Auf eine seltsame Weise berührt (und freut) mich das sehr. Ich finde Frau Panchenko (trotz der Klischee-Posen) sehr sinnlich und sexy, weil ich sie im Video vorher schon erlebt hab. Ich weiß etwas von ihr. Sie ist nicht nur irgendein Gesicht und Körper.

Mir wird klar, dass das auch was mit Machtzuschreibung zu tun hat. Der Fotograf ist normalerweise der Handelnde, das Model wird behandelt (fotografiert). Eine ungute Asymmetrie. Diese Fotografin hat das durchbrochen. Ich glaube, es täte allen Fotografen gut, sich auch selbst abzulichten und sich so zu zeigen, wie sie ihre Models zeigen.

‚Aber wer will schon einen mittelalten, zotteligen Kerl sehen?‘

Ich glaube, genau da liegt das Problem. Wir haben zwei getrennte Welten geschaffen. Es gibt die aufwändigen Hochglanz-Portraits von perfekt gestylten, top trainierten Models. Das ist dann Kunst. Oder Werbung.
Und es gibt ’normale‘ Fotos von Nicht-Models. In normaler Kleidung, bei Alltagslicht, in normaler Umgebung. Die dürfen dann auch älter sein oder ein paar Pfund zu viel oder zu wenig haben oder Haare an der falschen Stelle. Das ist dann Journalismus. Und vor allem geht es da schließlich auch um richtige Menschen.

– absichtliche Kunstpause –

Ich will richtige Menschen sehen, keine Posen. Warum sollen Models nicht zeigen, wer und wie sie sind? Und warum bekommen ‚richtige Menschen‘ so selten tolles Licht? Weil dann die Makel und Unvollkommenheiten auffallen könnten, die wir sonst mühsam verstecken? Aber die haben wir doch alle! Gefällt mir eine Frau im richtigen Leben weniger, die Fältchen hat? Oder Pölsterchen? Definitiv nicht! Warum soll jeder so tun, als ob er oder sie so makellos wäre wie eine Puppe? Das Thema arbeitet in mir.

Als ich wenige Tage später über ein weiteres Video stolpere, wo erklärt wird, wie man mit sehr einfachen Mitteln ein ‚rimlight‘ erzeugen kann, also eine Beleuchtung mit jeder Menge Schatten, will ich es selber ausprobieren. In fünf Minuten baue ich das Setting auf und lege los.

Als ich die Fotos später anschaue, zucke ich doch an der einen oder anderen Stelle zusammen. Ich hätte vorher ein, zwei Liegestützen machen können, das hätte die Muskeln etwas stärker betont. Die Profis machen das so. Ich hätte an einigen Stellen die Haare trimmen können, die lenken doch ganz schön ab.

Das sitzt echt tief. Aber nein, genau da geht es ja schon los!

Ich hatte vor den Aufnahmen die Brille geputzt, weil bei solch extremer Beleuchtung schon kleine Flecken extrem stören können. Brille ohne Reflexionen im Bild ist sowieso echt schwierig!
Und ich musste bei den Bildern hinterher am PC jeweils den Bildausschnitt bestimmen. Die Kamera stand ja fix auf einem Stativ und ich hatte zwischen den zwei Lampen nur wenig Platz. Ansonsten ist aber nichts getrickst, nichts bearbeitet. Die Bilder sind so, wie sie aus der Kamera kamen. Und voilà, das sind sie:

2 Gedanken zu „Wer ist das?“

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