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Vergebung

Es ist bald zehn Jahre her. Ein befreundetes Paar heiratete. Nichts Großes, keine Kirche, kein Brimborium. Ich war bei der Zeremonie im Standesamt eingeladen. Kurz vorher fragte man mich, ob ich bei der Ringübergabe ein Foto machen könne. Ich hatte etwas Bauchschmerzen. Ich hatte im Urlaub Fotos gemacht, aber im Grunde keine Ahnung vom Handwerk. Menschen hatte ich noch nie fotografiert. „Na gut, mache ich.“

Ich hatte schon kein gutes Gefühl bei der Zeremonie. Hinterher sollte ich auch noch ein paar Bilder draußen machen. Und so war ich plötzlich der Hochzeitsfotograf. Ich hatte nur die Fuji-Kompaktkamera meiner Partnerin. Durchaus eine gute Kamera. Aber halt nicht meine. Und nicht gebaut für solche Events. Das Ergebnis am Ende war dann auch desaströs: Nur eine handvoll Bilder, fast alle verwackelt, und die Fotos draußen in der prallen Mittagssonne auch nicht schön.

Ich hab es richtig vergeigt. Es war ein einmaliges, wichtiges Ereignis, und ich war der Mann am Auslöser. Niemand machte mir hinterher Vorwürfe. Ich hatte mich ja auch nicht gerade aufgedrängt. Es war überhaupt keine große Sache. Wären dem Paar die Bilder wirklich wichtig gewesen, hätten sie Profis engagiert. Trotzdem fühlte ich mich schlecht. All die Jahre seither war es mir furchtbar peinlich.

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Heute weiß ich, dass ich nicht den Hauch einer Chance gehabt hatte.

  • Hochzeitsfotografen haben mindestens zwei Kameras dabei, die jeweils auf zwei Speicherkarten gleichzeitig schreiben, falls mal eine Karte kaputt geht.
  • Sie arbeiten mit einem Arsenal riesiger Linsen, mit denen man auch in einer Kirche ohne Blitz fotografieren kann. So eine Ausrüstung mit Kameras und Objektiven kostet locker 10.000 €.
  • Sie bereiten sich auf jeden Job penibel vor.
  • Sie machen bei einer Hochzeit viele hundert Bilder. Selbst sie haben Ausschuss.
  • Sie wissen, wie man mit dem vorhandenen Licht und Wetter draußen arbeiten kann.
  • Sie wissen, wie man Menschen positioniert, eine gute Chemie herstellt und ein Bild gestaltet.
  • Sie haben lange Jahre Übung und oft eine Fotografen-Ausbildung.

Ich hatte wirklich keine Chance. Warum schreibe ich dann darüber heute einen Beitrag? Weil ich immer noch nach Vergebung suche. Aber warum?

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Ich versuche mal, zu sortieren. ‚Fehler machen‘ und ’sich schuldig fühlen‘ haben anscheinend nicht immer was miteinander zu tun. Wenn wir Fehler komplett vermeiden wollen, können wir nichts lernen. Es gibt keine Entwicklung, keine Kreativität, keine Persönlichkeit. Fehler machen uns erst zu Menschen. Fehler müssen passieren.

Verantwortung bedeutet, sich der Konsequenzen das Handelns bewusst zu sein. Fehler da zuzulassen oder gar zu suchen, wo sie eher harmlos sind. Sie (so gut es irgendwie geht) zu vermeiden, wo sie zu Elend führen würden.

Schuld kommt erst ins Spiel, wo wir die Macht haben, zu handlen und entscheiden, wo wir fatale Fehler begehen wider besseres Wissen und trotz einer Alternative.

Und Vergebung braucht es erst, wenn überhaupt eine Schuld da ist.

Eigentlich bin ich da mit meiner Hochzeitsfoto-Geschichte ja längst raus. Es war nicht furchtbar wichtig, ich hätte kaum nein sagen können, es hätte auch sonst niemanden vor Ort gegeben, der bessere Bilder gemacht hätte. Also kein Elend, keine Verantwortung, keine Schuld, und damit auch keine Vergebung nötig.

Aber: ich habe viele Jahre mit dem Gefühl verbracht, versagt zu haben. Die heutige Erkenntnis genügt offenbar nicht, um all dieses Fühlen rückwirkend zu überschreiben. Das braucht wohl eine gewisse Zeit, in der ich mich nicht mehr schuldig fühle. Und die läuft ab jetzt und arbeitet für mich.

Ich weiß, das ist ein verdammt großes Thema an einer Lappalie aufgehängt. Aber wahrscheinlich laufen die gleichen Muster auch bei großen Ereignissen ab. Ich hoffe, ich kann das jetzt im Kleinen üben. Für den Fall, dass ich es mal wirklich brauche…

Die Fotos sind übrigens solche Fehler-Versuche. Ich hab 30 Sekunden Belichtung eingestellt und mich vor die Kamera gesetzt. Erstaunlich, wie unendlich lang 30 Sekunden sind, wenn man nur in ein schwarzes Loch starrt!

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