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mySlave im Grünen

„Sag mal, willst du eigentlich überhaupt wieder gesund werden?“

  • ME/CFS

Ganz ehrlich – diese Frage stelle ich mir selbst auch ab und zu. Sie hat mehr Dimensionen, als es vielleicht den Anschein hat.

Hilfsbereitschaft

Viele Menschen nehmen Anteil an meinem Leben, und auch an meiner Krankheit. Das berührt mich sehr. Dabei sind zwei Reaktionen sehr häufig: Die eine ist Erstaunen: „Mensch, das ist ja heftig! Ich an deiner Stelle würde durchdrehen! Toll, wie du dein Leben trotzdem auf die Reihe bekommst!“

Die andere Reaktion ist, helfen zu wollen. „Da musst du unbedingt was tun! Ich kenne da [Arzt / Heilpraktiker / Medikament / Nahrungsergänzungsmittel / Therapeut / Meditationsform…].“
Etliche dieser Spuren hab ich auch schon verfolgt und bin sehr dankbar für die Tipps. Also wenn ihr was wisst, bitte gerne mitteilen!

Ich kann allerdings unmöglich alle Tipps ausprobieren. Manche hab ich schon ohne Erfolg getestet, einige widersprechen sich diametral, manche bergen die Gefahr, meine Situation deutlich zu verschlimmern. Deshalb sage ich vielleicht: „Vielen Dank für den Hinweis, das ist sehr lieb, aber ich möchte das derzeit nicht ausprobieren.“

Und dann verändert sich manchmal die Energie im Kontakt. Die Frage wird selten so ausgesprochen, aber ich höre sie trotzdem gelegentlich zwischen den Worten: „Da bemühe ich mich um dich, und du lehnst meine Hilfe ab. Willst du überhaupt wieder gesund werden?“

Erwartungen

Solche Situationen sind nicht leicht für mich. Natürlich bin ich dankbar. Nur kann ich halt nicht Dinge machen, die mir eher schaden als nützen, damit sich jemand anderes besser fühlt. Ich hab nur noch begrenze Reserven für Versuche. Am Ende muss immer ich selbst einschätzen, was hilfreich ist und was nicht. Auch auf die Gefahr hin, jemand anderen damit zu enttäuschen. Ich trage die Verantwortung für mich und muss – mehr als jeder andere – mit den Folgen leben. Wenn ich Hilfe ablehne, geht das aber nicht gegen dich!!!

Meine eigene Einschätzung

Ich selbst kenne den Zweifel auch. Es ist ja gut, dass ich nicht furchtbar leide, dass ich keine Depressionen hab. Aber darf es mir so gut gehen dabei, dass ich öfters richtiggehend Lebensfreude empfinde?

Leistungsgesellschaft

Ja darf man überhaupt öffentlich lachen, wenn man krank ist? Darf es einem gut gehen, wenn man nicht arbeitet? Unsere westliche, leistungsorientierte Prägung schüttle auch ich nicht einfach so ab.
Ich versuche es mit Logik: Im Moment könnte ich auch nicht arbeiten, wenn ich leiden würde. Niemand hätte einen Vorteil. Im Gegenteil. Lebensfreude hilft mir, wieder gesund zu werden. Sie dient also auch der Wiederherstellung der Arbeitskraft. Gerade deshalb darf ich auch genießen, was ich an Schönem erlebe!

Überforderung

Wenn ich an meinen alten Alltag denke, kommt ein Gefühl von grenzenloser Überforderung und auch etwas Angst hoch. Aus meiner heutigen Perspektive heraus ist das angemessen. Das alte Pensum wäre heute definitiv nicht leistbar für mich. Deshalb bin ich ja krank geschrieben.

Ich kenne mich aber gut genug. Wenn die Energie wieder zurück kommen sollte, dann würde ich sie auch auf die Straße bringen wollen. Jetzt grade bastle ich ja diesen Blog, um meine Kreativität irgendwie raus zu lassen. Ich bin nicht der Typ für Untätigkeit. Was an Energie da ist, will ich auch umsetzen. Wenn es irgendwann wieder für meinen Job reichen sollte, werde ich auch gerne wieder arbeiten.

Bewegungsmangel

Ich vermisse die Bewegung. In der Garage steht mein Mountainbike. Wenn ich mich da drauf setze, erschrecke ich erst mal über die flache Sitzpostition. Nach einer oder zwei Minuten spüre ich, wie sich mein Körper drauf einlässt. Und dann höre ich das Bike flüstern: „Komm, lass uns spielen! Ich zeig dir die Natur, ich lass dich die Schwerkraft spüren, die Geschwindigkeit, deinen Körper, die Endorphine! Lass uns eins werden! Ich mach dich glücklich, und ich weiß, du willst es!“

Und dann steige ich etwas traurig wieder ab, weil all das halt grade nicht mehr geht. Die Sprossenwand in meiner Wohnung dient hauptsächlich als Kleiderständer. Und das Buch ‚Fit ohne Geräte‘ verstaubt im Schrank. Ich würde auch sooo gerne wieder wandern! Aus eigener Kraft irgendwohin kommen. Ich vermisse meine Kollegen. Ich würde gerne wieder reisen. Und natürlich würde ich Katrin gerne entlasten, die so viel Rücksicht auf meine begrenzten Möglichkeiten nimmt.

Ja, ich will wieder gesund werden!

Warum tust du dann nicht mehr dafür?

Es gibt Krankheiten, gegen die man kämpfen muss. Bei einer Krebsdiagnose ist klar, dass eine schwere Zeit bevor steht: Bestrahlung, Chemo, Übelkeit, Haarausfall, Angst, Wut und vieles mehr. Man zieht in eine Schlacht und hofft, zu sie gewinnen und zu überleben. ‚Der Krebs oder ich‘.

Bei ME/CFS dagegen sitzt man auf einem kleinen Plateau. Recht eng, aber halbwegs sicher. Man kann versuchen, weiter hoch zu klettern, aber es gibt noch keinen bekannten Einstieg in diese Wand. Der Fels ist glatt. Wenn man abrutscht, kann es sein, dass man nicht nur zurück aufs Plateau fällt, sondern noch weiter abstürzt. Jeder weitere Versuch kostet mehr von der spärlichen Kraft und Konzentration und erhöht das Absturzrisiko. Man hat viel zu verlieren aber nur maue Erfolgsaussichten.

Letztes Jahr hatte ich ein langes Gespräch mit einem Mann, der schon über zehn Jahre an ME/CFS leidet. Ich hatte den Eindruck, er hat in dieser Zeit alles gelesen, alles ausprobiert, alle Spuren verfolgt, die aufgetaucht sind. Er meinte zu mir: „Du musst begreifen, dass dein altes Leben vorbei ist. Vergangenheit. So lange du dagegen ankämpfst, wird es nicht besser. Du musst es los lassen. Wenn dir das gelingt, hast du vielleicht Glück und es geht wieder ein Stück aufwärts.“

Kämpfe nicht, wenn Du nicht gewinnen kannst!

Ich wusste, was er meint. Ich hatte ein halbes Jahr gebraucht, bis ich das wirklich begriffen hatte. Ich hatte immer wieder versucht, arbeiten zu gehen. Oder wenigstens ein kleines bisschen Sport zu machen. Oder noch eine Untersuchung im Krankenhaus zu machen. Und es ging immer weiter bergab, bis ich das Haus alleine nicht mehr verlassen konnte. Da hatte ich es kapiert: Je mehr ich zapple, desto enger zieht sich die Schlinge zu. Ich kann nicht gewinnen.

Achte, welchen Wolf du fütterst!

Es tut mir gut, den Fokus auf die schönen Dingen in meinem Leben zu richten. Dagegen erinnert mich jede Tablettenschachtel auf dem Tisch, jeder Arzttermin, jede Studie daran, was fehlt. Jeder Therapieversuch weckt eine Hoffnung. Und jedes mal zieht es mich runter, wenn sie sich nicht erfüllt. Das sind dann kostbare Meter, die ich mich mühsam wieder hoch arbeiten muss. Deshalb verfolge ich nur noch Fährten, die mir sehr vielversprechend erscheinen.

Ich bin bei Weitem nicht der einzige, der an ME/CFS erkrankt ist. Wenn sich irgendwo auf der Welt ein Mittel findet, das wirklich hilft, dann bekomme ich das über die Selbsthilfeverbände mit. Bisher gibt es das nicht. Was bei einem hilft, macht es beim anderen noch schlimmer. Manches kann den Körper etwas unterstützen, kostet aber gleichzeitig so viel Energie, Zeit, Geld oder Aufwand, dass in der Summe wohl nicht viel Nutzen übrig bleibt.

Ich leiste mir deshalb den Luxus und warte die meiste Zeit auf meinem Plateau ab. Ich hab mich in meinem Basiscamp ganz gut eingerichtet. Die Forschung zu ME/CFS ist weltweit finanziell extrem dürftig ausgestattet, aber sie läuft langsam an. Die Zeit arbeitet für mich.

4 Gedanken zu „„Sag mal, willst du eigentlich überhaupt wieder gesund werden?““

  1. Lieber Klaus,
    JA, bitte, Du darfst glücklich sein.
    Und lachen.
    Heimlich und öffentlich.
    Und Dir Zeit lassen.
    Und Dein Leben erforschen, so wie es jetzt ist.
    Jenseits der Norm.

    Niemand von uns passt in eine Norm.
    Aber wenn man nicht krank ist, fällt es noch schwerer es nicht zu versuchen.

    Ich freue mich an Deiner Lebensfreude.
    Und habe großen Respekt für Deinen Weg. Mitgefühl für das Schwere.
    Ich fühle mich Dir verbunden wie immer.

    Danke, dass Du teilst, was das Leben Dir schenkt und nimmt.

    Liebe Grüße
    Christina

  2. Lieber Klaus,
    beim Lesen war ich ganz gerührt und hab drei Tränen geweint. Eine für dich, eine für mich, beide aus Schmerz. Die dritte aber, weil es mich so berührt, dass da jemand so haarscharf genau meine eigenen Gedanken aufgeschrieben hat.

    1. Hallo Stefan,
      vielen Dank für deine tolle Rückmeldung. Vielleicht sind das sogar ziemlich universelle Erfahrungen, die wir als Kranke da machen. Krankheit ist bedrohlich, das macht Angst. Und Angst fühlt sich nicht gut an. Wir Menschen wollen sie, wenn möglich, abwehren. Das tun wir ja jeden Tag, wenn wir raus gehen und uns dem Straßenverkehr stellen. Gefährlicher als da ist es statistisch fast nirgends. Aber das sind wir gewöhnt. Die Geschichte eines Menschen, der aus heiterem Himmel krank wird, und dem nichts und niemand helfen kann, das widerspricht jedoch unserer Erwartung. Wie kann man diese Angst abwehren? Eben mit vermeintlichen schnellen Lösungen. Oder mit ‚Selbst-schuld‘-Zuweisungen. Oder der Diagnose ‚larvierte Depression‘. Oder man kann sich der eigenen Angst stellen, und einfach dem Kranken zuhören. Und lernen. Auch deshalb mache ich diesen Blog…

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