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Apherese

Apherese

  • ME/CFS

Inhalt:
20.02.24, Dienstag … erste Behandlung
22.02.24, Donnerstag … zweite Behandlung
23.02.24, Freitag, Tag 1 danach … Unruhe
25.02.24, Sonntag, Tag 3 … wichtige Erkenntnis
26.02.24, Montag, Tag 4 … geistiger Turbo
29.02.24, Donnerstag, Tag 7 … Laborergebnisse
04.03.24, Montag, Tag 11 … Grenzen der Belastbarkeit
10.03.24, Sonntag, zwei Wochen danach … neue Realität
13.03.24, Mittwoch … das richtige Maß finden
19.03.24, Dienstag, knapp vier Wochen danach … Rückfall?
25.03.24, Montag, knapp fünf Wochen danach … Wirkung verpufft
25.04.24, zwei Monate danach … neuer Ansatz?
09.05.24, weitere Stabilisierung

Ich weiß, mit dem Wort ‚Apherese‘ kann kein normaler Mensch was anfangen. Es handelt sich dabei um eine Art Blutwäsche. Man lässt das Blut außerhalb des Körpers durch einen speziellen Filter laufen und führt es dann wieder zurück. In den letzten Jahren wurden zum Teil gute Ergebnisse bei ME/CFS-Kranken erzielt, wenn Autoantikörper und kleine Blutgerinnsel ausgewaschen wurden. Leider war es bisher kaum möglich, an so eine Behandlung ran zu kommen.

Das hat sich geändert. Die Long Covid-Forschung liefert inzwischen erste Ergebnisse, und so bieten immer mehr Häuser eine Apherese an. Nur für Selbstzahler zwar, die sich 2.500 € je Behandlung leisten können, aber immerhin. Und so hab ich einen Termin in Baden-Baden gemacht.

Dienstag, 20.02.24 … erste Behandlung

Triggerwarnung: In diesem Abschnitt kommen Nadeln und Blut vor. Nur zur Sicherheit…

Heute ist es so weit. Der erste von zwei Behandlungstagen. Ich hab unruhig geschlafen. Ich weiß zwar theoretisch, was auf mich zukommt, aber ich hab halt noch kein Gefühl dazu. Da ist ordentlich Adrenalin im Blut.
Katrin hat sich bereit erklärt, mich zu fahren, wofür ich ihr sehr, sehr dankbar bin. Und so sitze ich um viertel nach neun Uhr auf dem Behandlungssessel.

Der Arzt ist sehr freundlich und erklärt alles. Es werden Elektroden angelegt, um den Herzschlag zu überwachen. Eine Blutdruckmanschette um das Bein, auch das wird überwacht. Und dann müssen zwei Nadeln gesetzt werden: An einen Arm geht das Blut raus, am anderen wieder rein. Logisch irgendwie. Mit Blutabnahmen hab ich ja auch Erfahrung, kein Problem.

Nur dass die Nadeln hier dicker sind. Meine süßen kleinen Äderchen erschrecken sich und rollen sich schnell elegant zur Seite. Immer wieder versucht es der Arzt, das tut echt weh! Dann ist die erste Nadel endlich drin. Jetzt auf der anderen Seite. „Oh, hier ist es ja noch schlechter!“ Das ist nicht das, was ich von ihm hören wollte, aber wohl die Realität. Mehrere Versuche, keine Chance.

Ein Stück weiter unten probieren? Auch hier einige schmerzhafte Versuche, aber da kommt einfach nix. Jetzt werde ich doch nervös. Sobald der Filter in die Maschine eingesetzt ist, muss ich die Behandlung auch bezahlen, wenn sie nicht durchgeführt werden kann. Irgendwie wirkt auch der Arzt jetzt nicht mehr ganz so entspannt.

Noch ein Versuch am Handgelenk. Und da ist eine spendable Ader! Große Erleichterung. Die ist so gut, dass der Arzt beschließt, die Schläuche rechts und links zu tauschen. Er wirft die Maschine an und – plopp macht die tolle Vene wieder zu. Weiteres unangenehmes Spielen mit der Nadel, dann geht es halbwegs.

In die rechte Hand bekomme ich einen Schaumstoffball, den ich immer wieder drücken soll. Wie lange halte ich das durch? Längere Muskelbelastungen sind gar nicht gut für mich. Aber sobald ich aufhöre, den Ball zu pumpen, gluckert es im Arm ganz komisch, die Nadel saugt sich an der Vene fest und die Maschine läuft auf eine Fehlermeldung. Ich pumpe wieder, der Arzt drückt den Fehler weg, dann läuft es wieder für ein paar Minuten. Über eine halbe Stunde geht das so, bis mir unter der kuschligen Decke warm wird und die Gefäße sich etwas weiten. Trotzdem muss ich zwei Stunden lang den Ball kneten, um die Ader offen zu halten.

Nichts von all dem ist richtig schlimm. Aber auch nicht angenehm. Es ist ein bisschen wie eine Zahnreinigung beim Zahnarzt. Es ziept ein paar mal, wenn er an eine empfindliche Stelle kommt, sonst nur ein komisches Gefühl. Aber man weiß halt nie, ob das so bleiben wird. Deshalb ist man die ganze Zeit angespannt. Und so geht es mir auch hier. Als die zwei Stunden um sind und ich von der Maschine abgehängt werde, schlage ich innerlich drei Kreuze.

Das hier ist das Ergebnis der Behandlung: Das Orangefarbene ist das, was die Maschine rausgefiltert hat. Also bestimmte Lipide, Eiweiße, Zytotoxine, Antikörper, Schwermetalle. Bei starken Rauchern ist die Suppe wohl schwarz.

Ich bin froh, dass Katrin mich danach gleich nach Hause bringt. Das Adrenalin geht langsam aus dem Blut und ich bin ziemlich platt. Die Verbände muss ich noch ein paar Stunden dran lassen.

Als ich sie später weg mache, sieht die Einstichstelle rechts etwas lädiert aus. Da soll übermorgen für die zweite Behandlung wieder eine Nadel rein? Na ja, da muss der Arzt eine Lösung finden. Ansonsten hab ich die Aktion heute recht gut verkraftet. Ich fühle mich eigentlich wie gestern, nur ohne das Adrenalin. Ich bin gespannt, wie es weiter gehen wird.

Donnerstag, 22.02.24 … zweite Behandlung

Der Dienstag hat zum Glück nicht zu einem Crash geführt, deshalb auf ein Neues! Katrin fährt mich wieder hin, wir sind zeitig da. Diesmal lassen die Leute sich etwas mehr Zeit, mich erst mal ordentlich aufzuwärmen. Drei Wärmflaschen, zwei Flauschedecken und beheizte Fußwärmer. Und tatsächlich klappt das mit den Nadeln heute fast auf Anhieb und tut auch kaum weh. Zwar ist die Vene auch heute nicht sehr spendabel, die Maschine schaltet sich eine halbe Stunde lang immer wieder ab, jedes mal muss jemand kommen und die Fehlermeldung wegdrücken. Aber dann groovt es sich ein und läuft friedlich vor sich hin.

Inzwischen kann ich auch mit den ganzen Anzeigen und Parametern auf dem Display der Maschine was anfangen. Und so weiß ich in etwa, wo ich stehe und wann ich den Ball in der rechten Hand fester pumpen muss. Nach einer halben Stunde lässt die Anspannung nach. Nach einer weiteren halben Stunde die anschließende Erschöpfung. Alles normalisiert sich, jetzt bin ich nur noch ungeduldig und hibbelig. Ein Zustand, der mir ja gut vertraut ist, da gibt es Schlimmeres.

Nach gut zwei Stunden bin ich durch und werde abgehängt. Es war heute wesentlich entspannter als vorgestern, aber ich bin doch froh, dass erst mal keine weiteren Behandlungen folgen. Ein Hobby wird das hier nicht!

Jetzt kann ich das Ganze erst mal loslassen. Bis man von der Behandlung ggf. eine Wirkung spürt, kann das laut Arzt einige Wochen dauern. Also abwarten und Tee trinken.
Ich kann auf jeden Fall sagen, ich habs versucht!

Freitag, 23.02.24, Tag 1 danach … Unruhe

Gestern Abend spürte ich die Anstrengungen ganz schön. Ich war völlig platt. Als ich ins Bett ging, war mir leicht schwindelig. Heute morgen wache ich auf, setze mich im Bett auf und es wird mir kurz schwarz vor Augen. Mit der Zeit bessert sich das. Jetzt weiß ich, was der Arzt gemeint hatte mit: „Schauen Sie, dass sie am Folgetag den Kreislauf aktivieren! Bewegung, Sauna, was Ihnen gut tut.“ Okay, meine Möglichkeiten sind da sehr beschränkt, aber ich werde schauen, was ich tun kann…

///
Inzwischen mittags. Das ist völlig schräg! Meine Augen haben Mühe, am PC zu lesen und richtig zu fokussieren. Dafür ist da im Rest des Körpers eine Unruhe. Aber ich soll mich ja bewegen. Also wische ich Staub. Dann Staubsaugen. Immer noch alles gut, keine Überlastungsanzeichen. Erst mal Pause machen, bloß nichts übertreiben!
Nach einer Stunde immer noch Unruhe. Ich sitze auf dem Balkon in der Sonne, aber meine Beine, mein Rücken wollen mehr. Na gut, ich gehe raus, am Automaten Bargeld holen, dann gegenüber Essen einkaufen. Zurück nach Hause, die Treppen hoch. Keine Atemnot, kein Zwicken in den Waden, nichts!
Was immer da passiert ist, das ist keine Kleinigkeit! Dass mein Körper so schnell auf die verminderten Autoantikörper reagiert, kann ich mir fast nicht vorstellen. Vielleicht waren doch die Microclots, winzige Verklumpungen in den feinen Äderchen, mehr verantwortlich für meine Symptome als ich dachte. Egal, hauptsache es wird besser!

Sonntag, 25.02.24, Tag 3 … wichtige Erkenntnis

Langsam wird es mir echt unheimlich, und einigen Menschen um mich herum auch. Gestern war schon mehr Energie da, aber ich hatte morgens wieder zwei Stunden gebraucht, um in Schwung zu kommen. Ich war dann auf dem Markt, hab in der Garage was am eScooter montiert. Ich war vorsichtig. Zwei Leute, mit denen ich telefoniert hab, meinten, dass ich wieder wesentlich schneller spreche.

Heute morgen nun hab ich erstmals seit der Apherese keine verzögerte Anlaufphase. Mein Körper groovt sich offenbar langsam wieder ein. Nur mit wesentlich mehr Energie! Ich ziehe mich warm an, nehme die Kameras und fahre etwas raus. Da ist wieder Abenteuerlust, Neugierde, Hunger!

Ein größeres Ziel hab ich gar nicht, also fahre ich wie so oft an die Kinzig raus. Es ist schön da. Ich gehe etwas hin und her, hocke mich auf den Boden, um zwei Bachstelzen zu fotografieren, die da hin und her rennen. Ich stehe wieder auf und der Kreislauf hat überhaupt keine Mühe! Auch die Waden melden sich nicht schmerzhaft wie sonst.

Die innere Unruhe hat den Nachteil, dass einem schneller langweilig wird. Und so mache ich mich wieder auf den Heimweg. Unterwegs übe ich auf einem Parkplatz ein paar Dutzend U-Turns mit dem Roller. Dabei verspanne ich immer mal wieder, aber immer noch keine Ermüdungserscheinungen! Immer noch Hunger auf Eindrücke!

Zuhause gehe ich die Treppen hoch ohne Probleme. Ich verräume den Kram in der Wohung. Normalerweise tue ich das sehr bewusst, um die Wege klein zu halten. Normalerweise bin ich platt, wenn ich zurück komme. Jetzt sause ich in der Wohnung hin und her. Und will eigentlich gleich wieder raus.

Ja, ich erinnere mich. So war ich früher immer. Katrin musste mich in München öfters morgens zum Joggen raus schicken, damit ich schon mal ein paar Energiespitzen gekappt hatte und zu einem normalen Alltagstempo fähig wurde. So weit ist es jetzt noch lange nicht. Aber halt auch überhaupt kein Vergleich noch zu letzter Woche.

Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich traue mich nicht recht, mich darüber zu freuen, weil es so schnell gegangen ist. Weil ich nicht weiß, wie lange das anhalten wird. Weil ich den Bogen auch nicht überspannen und alles wieder kaputt machen will. Ich kann überhaupt nicht einschätzen, wo die neuen Grenzen liegen.

Also ran tasten…

///
Nachmittags, ich hab ein Nickerchen gemacht. Mit ist etwas klar geworden, und das hat mir einen kleinen Schlag versetzt:

Wie so oft sind es die Worte, die helfen, eine Situation zu verstehen. Wie oft hatte ich in der Vergangenheit beschrieben, wie schlimm diese innere Unruhe sei, das ‚Wollen ohne zu Dürfen‘. Wenn der Körper raus will, förmlich vibriert, und nur der Verstand bremst, um einen Crash zu vermeiden.

Das, was sich heute so unwirklich anfühlt, war noch 2022 an guten Tagen mein Normalzustand!

Das erklärt, warum ich damals öfter draußen war, auch an weiter entfernen Orten.
Warum ich damals viel mehr Fotos mit nach Hause gebracht hab.
Warum ich überhaupt so viel Energie und Geld in die Fotografie gesteckt hatte.
Warum ich mehr unter Menschen war, zumindest in den Jahren vor Corona.

Ich hab mich im letzten Jahr nicht hängen lassen. Mir ist die Fotografie nicht langweilig geworden. Mir ist nicht die Kreativität ausgegangen. Nein, ich hatte abgebaut. Wie viel, das ist mir heute klar geworden. Ich wäre wahrscheinlich nie wieder dahin gekommen, wo ich 2022 noch war. Vielleicht wäre es noch weiter bergab gegangen.

Meine Fresse, wenn es langsam genug geht, merkt man es nicht. Es ist auch immer schwer abzuschätzen, ob etwas nur temporär ist oder so bleiben wird. Wie weit war ich noch weg von meiner roten Linie, meiner Endstation? Ein Jahr vielleicht? Einen Infekt? Das ist heftig.

Das relativiert das, was ich jetzt seit gestern wieder habe, ganz schön. Natürlich hab ich die vorsichtige Hoffnung, dass es noch weiter bergauf geht. Aber das kann natürlich auch wieder nachlassen und abflauen.

Puh, das muss ich erst mal verdauen…

Montag, 26.02.24, Tag 4 … geistiger Turbo

Himmel, ist das anstrengend! Mein Hirn hat sein Arbeitstempo gefühlt verdoppelt.
Aufgabe? Check, erledigt. Nächste bitte!
Haaalloooo!!!

Das macht einerseits den Alltag leichter. Ich brauche nicht mehr meine volle Konzentration, um den Orangensaft ins Glas zu schütten statt versehentlich in die Tasse mit dem Getreidekaffee. Ich kann wieder kochen und zwischendurch nach der Wäsche schauen, ohne dass irgendwas anbrennt oder überkocht.

Aber so ein hyperaktives Gehirn ist halt überhaupt nicht gut in Geduld. Ich sehe aus dem Augenwinkel eine alte Spinnwebe an der Decke. Stimmt, kann ich beim nächsten Staubsaugen weg machen. ‚Aber du könntest es auch jetzt schon erledigen! Nur schnell Staubsauger aus dem Schrank, Kabel raus, Stecker rein und zack! Ganz einfach, ich visualisiere es dir schon mal. Ratz fatz.‘
Stöhn! Also gut. Ich machs.
‚Super, danke! Ach, du wolltest doch noch…‘

Eine etwas beängstigende Frage taucht in mir auf:
Ist das grade eine Art Überkompensation? Oder war ich früher immer so???
Wenn ich an die Rückmeldungen denke, die ich manchmal bekommen hab, fürchte ich fast: Letzteres.
Das kann ja heiter werden!

Heute morgen war ich im Edeka Essen einkaufen. Zu Fuß! Das hab ich seit Monaten nicht mehr gemacht. Die Waden spüre ich schon, aber es fühlt sich eher an wie ein leichter Muskelkater als nach Krampfneigung. Ran tasten!

Donnerstag, 29.02.24, Tag 7 … Laborergebnisse

Mein System hat sich stabilisiert, es geht mir sehr gut. Ich versuche, die neuen Spielräume vorsichtig auszuloten. Ich bin fast jeden Tag mal draußen, das scheint heilsam für Körper, Geist und Seele zu sein.

Heute morgen hab ich die Laborwerte bekommen. Der Arzt hatte ja nach der zweiten Apherese letzte Woche Blut abgenommen und eingeschickt. Das Ergebnis ist für ich etwas überraschend:
Die Autoantikörper haben sich durch die Apherese kaum verändert. Der Arzt riet mir, etwa Ende nächster Woche noch mal die wichtigsten testen zu lassen. Mal sehen.

Ich versuche, mir einen Reim darauf zu machen. Meine derzeit beste Hypothese dazu: Wichtiger als die Autoantikörper scheint etwas anderes gewesen zu sein. Blutclots oder anderes, was im Blut eigentlich nicht rumschwimmen sollte. Durch die Filterung wurde das so weit rausgewaschen, dass meine Zellen wieder wesentlich besser mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden. Das würde auch erklären, weshalb es mir so schnell so viel besser gegangen ist.

Aber Hauptsache, besser!

Montag, 04.03.24, Tag 11 … Grenzen der Belastbarkeit

Am Samstag hab ich es mir gegeben: Zum Sonnenaufgang raus zum Königswaldsee gefahren, auf dem Rückweg auf dem Markt eingekauft. Etwas später dann in die Musikschule rüber, da war Tag der offenen Tür. Ich durfte ein Cello ausprobieren! Und nachmittags noch mal eine Runde in der Sonne rund um den Kasernenplatz. Ich fühlte mich einfach gut!

Gestern dann kam die Quittung: Kopfweh, müde, schlapp. Keine Atemnot, keine Krämpfe, aber halt kein Mumm. Vielleicht auch Wetterkopfweh? Das hatte ich schon vor meiner Krankheit ab und zu. Ich hab es halt ruhig angehen lassen.

Heute hab ich zwar wieder etwas mehr Schwung, aber das Hibbeln hält sich noch in Grenzen. Das war wohl einfach zu viel am Samstag. Ich bin halt nicht geheilt, das darf ich nicht vergessen Es ist nur eine Entlastung!

Sonntag, 10.03.24 … zwei Wochen danach: neue Realität

Ich bin in einer neuen Realität gelandet. Ein ’neues Normal‘, diesmal ist das etwas Gutes.

Ich spüre schon, dass ich mich nicht voll belasten darf. Abends tun schon mal die Waden weh, sind auch manchmal kurz vor dem Krampf, wenn ich tagsüber lange auf den Beinen war. Aber ‚lange auf den Beinen‘ war vor der Apherese vielleicht zehn Minuten frei Stehen oder 150 Meter Gehen. Jetzt sind es eher 30 Minuten Stehen oder 1km Gehen. Das ist zugegebenermaßen immer noch weit weg vom Halbmarathon. Aber halt eine enorme Verbesserung im Alltag!

Zweitens ist meine Hirntätigkeit wesentlich schneller. Der Alltagskram läuft wieder nebenher. Kochen z.B. erfordert nicht mehr 100% Aufmerksamkeit. Ich kann Gesprächen leichter folgen, sie besser mitlenken, werde allerdings auch schneller ungeduldig.

Und drittens ist die Atmung völlig anders geworden:
Vor der Apherese konnte ich bei Belastung zwar problemlos schneller und tiefer atmen, die Atemwege waren ja frei. Aber da blieb trotzdem ein Luftnotgefühl. Und gleichzeitig fühlte es sich an nach beginnender Hyperventilation. Schwindel, leichte Übelkeit. Wahrscheinlich zu viel Sauerstoff im Blut, aber er schaffte es nicht in die Zellen.
Dieser Effekt trat schon auf, wenn ich nur eine Kerze ausblasen oder etwas singen wollte. Besonders bitter: selbst Weinen war so nicht möglich. Und legte ich mich nach einer Belastung hin, sackte der Puls innerhalb von 15 Sekunden ab bis deutlich unter 50 bpm. Auch das fühlte sich nicht gesund an. Im Grunde hab ich wohl gelebt wie mit einem Sack überm Kopf.

Wenn ich heute etwas Anstrengendes tue, wird die Atmung schneller und tiefer, wie es sein sollte. Lässt die Belastung nach, regeln Puls und Atmung ganz langsam wieder runter. Das fühlt sich einfach fantastisch an! Es ist natürlich weit weg von gesund. Aber ich erinnere mich wieder, weshalb ich den Sport immer so unglaublich geliebt hab!

Abends bin ich heute mindestens noch so platt wie vor der Apherese. Aber es fühlt sich eher an nach einem gesunden ‚rechtschaffen müde‘ als nach ‚Loch im Tank‘.

Was wäre das für ein unglaubliches Geschenk, wenn das alles auf diesem Level bleiben könnte!

Mittwoch, 13.03.24 … das richtige Maß finden

Wenig Zweifel, das ist ein Muster:

  • Vorletzten Samstag hatte ich es übertrieben. Einfach zu viel gemacht. Das führte nicht zu einem Crash, aber Sonntag war ich dann total müde. Montag war es etwas besser, Dienstag wieder gut.
  • Nun wieder: Montag zu viel auf den Beinen, gestern schlapp, heute besser, morgen wahrscheinlich wieder gut.

Wenn ich raus gehe, in Bewegung komme, tut das gut. Ich fühle mich frisch und wach und meine Muskeln fühlen sich stark an. Die Atemnot, die Krämpfe, die dicken Lymphknoten, die mich bisher eingebremst haben, sind nicht mehr da.

Trotzdem gibt es offensichtlich Grenzen. Ich hab immer noch ME/CFS. Ich werde also weiterhin nicht auf mein Körpergefühl vertrauen können. Auch weiterhin muss mein Verstand die Grenzen auf Basis von Erfahrung vorab stecken. Wo diese Grenzen jetzt genau liegen, wird noch einige Feinarbeit erfordern.

Immerhin nimmt es deutlich Druck raus, dass eine Überlastung nicht mehr so verheerende Konsequenzen hat. Zwei Tage etwas unmotiviert und müde sein sind wirklich kein Vergleich zu zwei Wochen nicht mehr aus der Wohnung können.

Dienstag, 19.03.24, knapp vier Wochen danach … Rückfall?

In den letzten Wochen konnte ich beobachten, dass Überanstrengungen immer noch einen Tribut forderten. Das waren dann ein, zwei Tage, an denen ich eher müde und unmotiviert war. Danach war ‚der Bums‘ wieder da. Das war völlig okay für mich.

Mein Eindruck ist seit einigen Tagen, dass die Erholungsphasen länger werden.

Seit vorgestern zwickt immer mal wieder ein Wadenmuskel, obwohl ich gar nicht viel gemacht hab. Das verging aber jeweils schnell wieder.

Heute hatte ich zum ersten mal seit der Apherese wieder dieses Atemnot-Gefühl in der Brust. Ohne besondere Belastung. Nicht durchgängig, aber deutlich spürbar. Ich atme etwas tiefer ein und es kommt dadurch nicht mehr Energie ins System sondern Schwindelgefühl und leichte Übelkeit. Wie vor der Apherese.

Es ist noch zu früh für ein Urteil. Es kann sein, dass ein kleiner Infekt im Hintergrund das System belastet. Oder dass es einfach Formschwankungen sind. Mal sehen, wie sich das entwickelt…

Montag, 25.03.24, knapp fünf Wochen danach … Wirkung verpufft

Inzwischen ist es ziemlich eindeutig: Die Wirkung der Apherese ist verpufft. Sie hatte schnell eingesetzt, aber nur gut drei Wochen angehalten. Und nun?

  • Es war kein Misserfolg. Das schlechteste Ergebnis wäre gewesen, dass ich die Anstrengung nicht verkrafte und abstürze. Statt dessen erlebte ich eine deutliche Verbesserung, wenn auch nur vorübergehend.
  • Ich konnte spüren, wie viel Energie in meinem Körper immer noch steckt, wenn die Mitochondrien ihren Job richtig tun können. Wie viel Kraft, wie viel Spannung, wie viel Abenteuerlust, und auch wie schnell mein Geist funktioniert. Da ist bei Weitem nicht so viel Dekonditionierung im Spiel, wie die Psychosomatiker-Fraktion in Sachen ME/CFS immer behauptet. Das ist sehr beruhigend zu wissen, falls es mal weitere Heilungsansätze gibt.
  • Rücksprache mit dem Arzt in Baden-Baden:
    Er teilt meine Einschätzung, dass die Wirkung in meinem Fall wohl nicht auf Autoantikörpern beruhte sondern eher auf anderen ausgewaschenen Entzündungsfaktoren oder Blutclots. Er riet mir dazu, eine dritte Behandlung anzuschließen. Die Intervalle würden tendenziell um so größer, je besser die Ausgangslage ist, von der man startet.
  • Finanzielle Erwägungen:
    Ich hatte gehofft, dass ich die Kosten der Apherese vielleicht erstattet bekomme. Ich hatte Laborwerte der Autoantikörper vorher und hinterher. Es gibt inzwischen Studien, die einen Zusammenhang von ME/CFS und den AAK untermauern. Und die Apherese hatte bei mir ja eine deutliche Wirkung.

    Aber diese Arbeitshypothese ist leider geplatzt. Die Laborwerte unmittelbar nach der Apherese waren fast identisch zu vorher. Und die Besserung meines Enervielevels innerhalb von nur drei Tagen passte auch nicht dazu. Ich weiß deshalb nicht, wie ich die Erstattung der hohen Kosten gegenüber Krankenkasse und Beihilfe begründen sollte. Eigentlich wird diese Therapieform bei ME/CFS überhaupt nicht bezahlt, da noch zu wenig Evidenz vorliegt.

    Ich glaube dem Arzt das mit den längeren Intervallen. Aber selbst wenn sich die Wirkungsdauer mit der dritten Behandlung verdoppeln würde, wären das etwa sechs Wochen. Das ist immer noch viel zu kurz für 2.500 €. Ich kann jeden Euro ja nur einmal ausgeben.

    Deshalb werde ich wohl doch mit weiteren Maßnahmen abwarten, bis entweder meine Lage so schlecht wird, dass ich an der Pflegebedürftigkeit kratze. Oder bis es andere Heilungsoptionen gibt. Und man darf ja nicht vergessen: Noch bis vor einem halben Jahr gab es überhaupt keine Handlungsoption!
  • Psychische Perspektive:
    Ich hatte von Anfang an ja die Hoffnungen im Rahmen gehalten. Meine Enttäuschung ist deshalb nicht so furchtbar groß. Im Grunde fühlt sich das alles an wie ein Urlaub in die alte Heimat. Da, wo man sich noch auskennt, die Landschaft, das Klima, die Leute von früher, ein Aufblühen und Durchatmen. Und dann endet der Urlaub und man muss wieder zurück in seinen Alltag. Das heißt nicht, dass der furchtbar schlimm ist. Ist halt nur nicht Urlaub.

Hätte ich die Apherese gemacht, wenn ich gewusst hätte, wie es verlaufen wird?
Nein, weil zu teuer.

War es ein Fehler, sie zu machen?
Nein, ich musste es versuchen. Und es war auf jeden Fall eine tolle Erfahrung, mich mal wieder stärker und belastbarer zu fühlen. Ich kann zwar heute nicht mehr tun als vor der Apherese, aber ich weiß, wie nah ich eigentlich an einem gesünderen Zustand dran bin. Ich hab noch längst nicht so viel unwiederbringlich verloren wie gedacht.

Was rate ich anderen ME/CFS-Betroffenen?
Jeder Fall ist so unterschiedlich! Wie schwer erkrankt? Wie lange schon? Welche Symptome? Wie viel verfügbares Geld? Ich hab auch den Arzt in Baden-Baden gefragt, was ich anderen Leuten sagen soll. Sein Rat: bei ihm anrufen und die individuelle Situation besprechen:

Dr. Bucher
https://biologicum-baden.de/
Tel. 07221 / 398 3808

25.04.24, zwei Monate danach … neuer Ansatz?

Ich hab mich ganz gut wieder in meinem ME/CFS-Alltag eingegroovt. Und natürlich beschäftigt mich die Apherese-Erfahrung weiterhin. Nicht mal so sehr die fehlende Nachhaltigkeit trotz enomen Aufwands, sondern die drei Wochen, in denen ich mehr Energie hatte.

Die Autoantikörper-Hypothese ist ja als Hauptursache meiner Symptome eher raus. Dafür hat sich mein Fokus auf die periphere Durchblutung verschoben. Nur das kann erklären, weshalb damals schon innerhalb von drei Tagen so viel mehr Energie verfügbar war.
Könnte es da auch helfen, die Blutgerinnung etwas zu dämpfen? Ich werde keinen ‚Blutverdünner‘ wie Macumar nehmen, da stehen die Risiken in keinem Verhältnis. Aber Aspirin wirkt ja auch leicht in diese Richtung. Und von 100mg täglich verblutet glaube ich niemand.

Also hab ich mir eine Packung für drei Euro oder so besorgt und erst mal eine Woche lang täglich eine ASS zum Frühstück eingenommen. Am Ende der Woche fühlte ich mich nicht völlig anders, aber etwas stabiler und wacher. Das könnte auch noch im Bereich der normalen Schwankungen liegen. Aber ich hatte eine körperliche Belastungssituation, die mich normalerweise für Tage umhauen würde, und es ist nichts passiert!

Dann hab ich eine Woche ausgesetzt, um den Magen zu schonen. Kein weltbewegender Unterschied, aber doch häufiger müde. Einmal dicke Lymphknoten, Halsweh.

Jetzt hab ich wieder eine Woche mit ASS angefangen und fühle mich wieder etwas stabiler. Ich führe ja ein Symptomtagebuch. Und da zeigt sich doch in der Rückschau eine Richtung, die im Alltag schwer festzustellen wäre. Ich bin gespannt, wie das weiter geht…

09.05.24, weitere Stabilisierung

Ich bin definitiv über den bisherigen Bereich normaler Schwankungen hinaus! Ich nehme weiterhin täglich eine Tablette 100mg ASS zum Frühstück. Ich hatte keine dicken Lymphknoten mehr nach Belastungen, keine Halsschmerzen, kein Druckgefühl in der Brust. Die Muskelschmerzen und die Neigung zu Wadenkrämpfen sind komplett weg! Und das, obwohl ich schon ein paar Situationen hatte, die früher sehr wahrscheinlich zu einem Crash geführt hätten!

Ich versuche nicht, mich an das neue Leistungslimit ranzutrainieren. Ich mache keine zunehmend längeren Spaziergänge. Das ist in der Vergangenheit immer wieder schief gegangen. Statt dessen vergrößere ich meinen Alltag. Ich gehe auch mal zwei oder dreimal am Tag die Treppen runter, wenn ich was brauche. Ich bleibe etwas länger stehen, wenn ich mich mit jemandem unterhalte, bevor ich mich hinsetze. Ich mache größere Ausflüge, versuche aber, dabei möglichst wenig auf den Beine zu sein.

Mal schauen, wie weit das trägt.

3 Gedanken zu „Apherese“

  1. Lieber Klaus,
    toll, dass du es tatsächlich gemacht hast! Jetzt wünsche ich dir mit zwei gedrückten Daumen, dass es helfen möge, und zwar möglichst dauerhaft.
    War mir gar nicht klar, dass es so lange dauert, bis sich Wirkung zeigt. Ich dachte immer, das würde man so gut wie sofort merken.
    Liebe Grüße
    Stefan

    1. Danke dir, Stefan!

      Genaues weiß ich da nicht. Ich schätze, bei den Betroffenen, wo die Microclots das Hauptproblem sind, zeigt sich schneller was. Stopfen raus, Blut fließt oder so ähnlich.

      Bei den Autoantikörpern muss sich, so wie ich das bisher von Dr. Prusty’s Forschung in Würzburg verstanden hab, das System erst erholen und die Mitochondrien müssen ihre Struktur (hoffentlich) wiederherstellen. Erst danach können sie auch wieder mehr ATP produzieren. Im Gegensatz zu seinen Versuchen in der Petrischale wurde bei mir ja auch nicht das Blutplasma komplett ausgetauscht sondern nur ein Teil der Antikörper ausgewaschen. Wie viele, das wird eine Laboranalyse der GPCR zeigen, die wir heute nach Abschluss der Apherese gezogen haben.

  2. Hallo Klaus,
    erst jetzt hab ich die ganzen späteren Updates gelesen. Das ist ja hocherfreulich!
    Jetzt kann ich auch den Motorradanzug, von dem ich heute gelesen habe, besser einordnen.
    Möge es bleiben und möglichst noch weiter bergauf gehen!
    Alles Liebe
    Stefan

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