Ich hatte Lust, mit der Portrait-Fotografie weiter zu kommen. Es gibt mit model-kartei.de eine Internet-Plattform, wo Fotografen und Models sich finden können. Ich war bereit, ein paar Euros in die Hand zu nehmen, und so kam letzten Donnerstag Kathi hier vorbei.
Sie ist jung, aber schon lange im Geschäft. Entsprechend nervös bin ich. Es kommt mir ein bisschen vor, wie wenn jemand extra Reinhold Messner einfliegen lässt, um sich auf die Besteigung des Hohen Horns vorbereiten zu lassen.
Aber Kathi ist sehr nett, und nach einem Tee und etwas Smalltalk geht es los. Sie setzt sich hin, ich schaue durch die Kamera und beginne zu fotografieren. Ganz simpel mit dem Tageslicht, das durchs Fenster fällt. Ich will keine glamourösen Posen, keine aufwändigen Outfits, einfach nur einen Menschen vor der Kamera. So pur und direkt wie möglich. Mir ist klar, dass ich da ziemlich viel von ihr verlange. Modeln ist ja ihr Job, und ich schätze, da hält man normalerweise eine gewisse professionelle Distanz. Rollen bieten Sicherheit. Und nun soll sie einfach sie selbst sein?
Kathi lässt sich darauf ein. Und ich werde noch nervöser! Wenn wir Normalos fotografiert werden, versuchen wir meistens, irgendwie um die Kamera herum zu schauen. Das schwarze Ding wirkt fremd und stört. Kathi dagegen geht mit voller Intensität mitten rein!
Wir Menschen halten bei Gesprächen Blickkontakt, aber wir schauen immer wieder kurz weg, damit es nicht komisch wird. Ein langer, tiefer Blick ist ja immer eine Botschaft: ‚Ich will dir näher kommen‘ oder ‚Ich durchschaue dich‘ oder ‚Ich zeige mich dir‘. Oder noch etwas anderes. Es ist nicht möglich, jemandem lange tief in die Augen zu schauen, ohne dass Emotionen hoch kommen. Und genau das passiert mir nun hinter der Kamera.
Natürlich ist meinem Kopf klar, dass Kathi grade nicht intensiven Kontakt mit mir aufnimmt, sondern mit der Kamera. Das ist es, was Models tun. Sie kann meine Augen ja nicht einmal sehen, solange ich hinter der Kamera versteckt bin. Es wirkt trotzdem. Das hab ich total unterschätzt!
Ich fühle mich, als würde ich sie heimlich durchs Schlüsselloch beobachten. Es hat ja ohnehin schon etwas sehr Schräges und Anachronistisches, wenn ständig gesetztere Herren junge schöne Frauen fotografieren. Ich meine, wir haben 2021, oder?
Ich hatte schon vorher überlegt, auch mal die Rollen zu tauschen, um zu sehen, wie sie als Fotografin an die Sache ran geht. Also tun wir das zwischendurch. Mein Gefühl von Indiskretion und Distanzlosigkeit ihr gegenüber bleibt trotzdem. Selbst abends, als Kathi längst wieder zuhause ist und ich die Fotos am Bildschirm anschaue, fühle ich mich etwas verlegen.
Inzwischen hat sich das gelegt. An dieses besondere Setting sollte ich mich als Fotograf noch gewöhnen, egal, wen ich fotografiere. Ich glaube, es lohnt sich. Das war echt ein Schritt nach vorne für mich. Und spannend ist das sowieso immer mit dieser Kommunikation. Genau darum soll es ja schließlich gehen bei Portraits!
Ein Lächeln kommt des Weges, hält inne und geht weiter…
Fortsetzung folgt…