Sommer 2019
Früher war ich ständig in Bewegung. Mein Auto hatte ich schon 2011 verkauft, weil es fast nur noch rum stand. Ich war viel lieber zu Fuß oder mit dem Rad unterwegs. Ich musste mich nicht mit anderen Verkehrsteilnehmern rum ärgern, sondern konnte mich selbst spüren. Ich genoss es, wenn der Sauerstoff durch die Blutbahn strömt und der Kopf klar wird. Eigentlich war ‚gehen‘ fast mein natürlicher Seinszustand.
Dann kam die Krankheit, und ich war bald nicht mehr mobil. Nicht zu Fuß, nicht mit dem Rad. Ich schaffte es nicht mal mehr die 300m zum Supermarkt. Ich war ans Haus gefesselt. Was tun? Katrin, meine Partnerin, lebt in München und kann nicht immer einkaufen und Dinge für mich erledigen. Meine Freunde auch nicht auf Dauer.
Abhilfe
Das erste war, dass wir einen Rollstuhl besorgten. Da meine Krankheit noch so wenig bekannt ist, hab ich bis heute keine schriftliche ärztliche Diagnose. Und ohne Diagnose gibt’s kein Geld von der Versicherung. Also kauften wir einen gebrauchten Rollstuhl aus ausgemusterten Altersheim-Beständen für geschmeidige 80€. Den zerlegten wir komplett, unterzogen ihn einer Grundreinigung und bauten die Teile wieder zusammen, die nötig sind. Aus dem Rest baue ich irgendwann die berühmte Kaffeemaschine. 🙂
Nun konnte man mich wenigstens durch die Stadt schieben. Selbst anschieben wäre zu anstrengend für mich.
Der nächste Schritt war die Motorisierung. Ich wollte wieder auf eigene Faust unterwegs sein können! Ich kaufte mir ein Zuggerät, das man vor den gewöhnlichen Rollstuhl montiert.
Es gibt verschiedene Modelle auf dem Markt. Die meisten kosten allerdings wegen Kleinserie ab 5.000 €, und das war zu viel für mich. Eine günstige Variante hab ich dann aber doch gefunden: Das Teil nennt sich ‚mySlave‘, obwohl es sich für einen treuen Sklaven manchmal recht bockig fährt. Die atemberaubenden Leistungsdaten:
250 Watt, Reichweite realistisch 5-8km, maximale Geschwindigkeit 15km/h. Für ein Fahrrad ist das ein gemächliches Tempo. Aber bei dieser Konstruktion muss man sich da schon gut festhalten, um nicht aus der Kurve zu fliegen. So etwas wie ein Fahrwerk hat sie nicht. Ein Standardrollstuhl wird ja nicht für so was entwickelt. Das Antriebsrad vorne hat grade mal 15cm Durchmesser. Der Reifen ist aus Vollgummi, eine Federung gibt es nicht. Da wird jede Unebenheit zum Moto-Cross-Trail. Und es gibt nur eine kleine Trommelbremse in der Nabe. Und Steigungen mag das Gerät überhaupt nicht. Das ist etwas blöd, wenn man wie ich am Rande des Schwarzwalds wohnt. Ein paar entscheidende Vorteile hat der mySlave jedoch:
- Dass er mit 2.500 € relativ günstig ist, hab ich schon anklingen lassen.
- Mit einem Griff kann man das Zuggerät vom Rollstuhl entkoppeln. Inklusive Akku wiegt es nur 10kg. Das bekomme selbst ich die Treppen hoch geschleppt oder in die Bahn gelüpft. Der Akku alleine wiegt nur 1,5kg, den kann ich bequem an der Steckdose in der Wohnung aufladen.
- Durch die kleinen Abmessungen kann ich mit dem Rollstuhl samt mySlave in den Supermarkt rein fahren und komme selbst zwischen den engen Gängen zurecht. Das fühlt sich zwar ein bisschen an, als würde man mitsamt Klamotten und Schuhen ins Bett gehen, aber es ist ungemein nützlich.
Es gibt sicher technisch bessere Zuggeräte, aber für meinen Bedarf passte der mySlave am besten. Die Herstellerfirma ‚Rehability‘ in Heidelberg hat ihn übrigens inzwischen umbenannt. Das Nachfolgemodell heißt jetzt ‚mySkate‘. Die Sache mit dem Sklaven weckt halt doch Assoziationen…
Behördenkram
Obwohl 15km/h nicht schnell sind: motorisiert ist motorisiert! Das Ding braucht eine Zulassung und ein Mofakenneichen. Also fuhr ich zur Zulassungsstelle. Offensichtlich ist mein Gefährt nicht sehr verbreitet. Die Dame dort kratzte sich am Kopf und begann mit einer umfangreichen Recherche. Nach etwa 30 Minuten kam sie zurück. Der Rollstuhl braucht unzählige Sondergenehmigungen. Sie war sehr nett und hatte selbst ein schlechtes Gewissen. So bot sie mir an, alle Zulassungen für insgesamt pauschal 200€ einzutragen. ‚Eigentlich würde es noch deutlich mehr kosten.‘ Ich nahm ihr Angebot an, und war nun auch offiziell on the road.
Foto (c) Katrin Holz
Es war eine Erfüllung, wieder mobil zu sein! Selber einkaufen! Wenigstens wieder an den Stadtrand kommen und ins Grüne schauen! Ich war glücklich!