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Ohlsbach

Verbundenheit

Fast jede Nacht hab ich mal ein, zwei Stunden, in denen ich mehr oder weniger wach bin. Das ist völlig okay, ich muss ja nicht früh raus. Oft kommen mir in dieser Phase sogar richtig gute Ideen, Einsichten, irgendwie Klarheit.

In der vergangenen Nacht beschäftigte mich, dass nur noch selten etwas wirklich an mich heran kommt. Begegnungen, Natureindrücke, alles ist weiter weg gerückt. Mir fallen im letzten Dreivierteljahr nur drei oder vier Momente ein, wo ich mich so verbunden gefühlt hab wie früher. Schade, aber halt wohl unvermeidlich.

Einige Stunden später wache ich auf. Es ist Dienstag morgen, die Uhr zeigt erstaunlich gute Werte. Draußen scheint schon die Morgensonne. Und ich fühle mich auch viel wacher als in den letzten Tagen! Also beeile ich mich mit Frühstück, schnappe die Kameras und mache mich auf den Weg.

Ich möchte mal wieder nach Ohlsbach fahren. Da gibt es einen Wald, der kaum bewirtschaftet wird. Ein Stück weiter beginnt ein ausgewiesener Bannwald. Ich war seit fünf Jahren nicht mehr dort. Was sich da wohl getan hat?

Es ist wunderbar mild, die Regenfälle der letzten Tage haben dem Grün noch mal einen Extra-Schub gegeben. Ich fahre staunend zwischen Streuobswiesen und Gärten dahin.

Als ich in dem Wald ankomme, fällt mir auf, dass er tatsächlich noch mal gewachsen ist. Jetzt ist es eine wilde Mischung: Rechts des Weges ein kleiner Bach mit bemoosten Steinen, daneben Farne, Brennesseln und Waldhimbeer-Ranken, von Moos und Flechten bewachsene alte Bäume, dunkel und recht feucht.

Links vom Weg ein ganz anderes Bild: schlanke Buchen, Birken, einige junge Fichten, dazwischen stehen vereinzelt alte, übrig gebliebene dürre Stämme. Alles ist luftig genug, dass reichlich Licht am Boden ankommt. Kohlweißlinge und Landkärtchen flattern umher.

Also nach einer ‚Borkenkäferbrutstation‘, wie viele Kritiker von Naturschutzgebieten immer meinen, sieht das hier definitiv nicht aus. In den eigentlichen Bannwald fahre ich nicht hinein, aber was ich von hier aus sehe, sieht wirklich ermutigend aus!

Ich biege statt dessen rechts ab auf einen breiten Waldweg. Der Plan ist, einen kleinen Schlenker zu machen und von oben her nach Ohlsbach zurück zu kommen. Die Beschilderung fehlt an einer Kreuzung, ich fahre nach Bauchgefühl weiter den Berg hoch. Dann kommt keine Abzweigung mehr. Muss ich wieder umkehren?

Dann wird der Wald heller und ich erreiche eine Kreuzung. Der Ginster blüht in voller Pracht, eine Hummel fliegt von Blüte zu Blüte. Links sehe ich durch eine Lücke auf die Häuser von Ohlsbach herab, rechts ins Rheintal. Das ist so schön hier, dass ich einfach lachen muss! Ich sitze da und genieße. Das ist genau die Verbundenheit, die mir so gefehlt hat. Ja, ich lebe noch!

Dann kommt ein Mann, etwa in meinem Alter, auf dem Mountainbike vorbei. „Mit dem Roller dürfen Sie aber eigentlich nicht hier fahren.“ Ich antworte ihm, dass ich das schon weiß. Aber dass ich krankheitsbedingt anders halt nicht mehr ins Grüne komme. Das kann er verstehen, er ist sehr nett. Ich frage ihn, ob dieser Weg zu der Kapelle in den Reben führt. „Ja, genau, Maria im Weinberg, das ist auch gar nicht mehr weit.“ Er kennt die Strecke offensichtlich. Ob ich da mit dem Roller fahren kann? „Ja, klar, das sollte kein Problem sein.“ Wir verabschieden uns, er fährt weiter.

Ich fotografiere und genieße noch ein bisschen, da kommt er zurück geradelt. „Sie sind nicht gekommen, da dachte ich, ich schaue lieber noch mal nach.“ Ich bin sehr gerührt. Ich bedanke mich herzlich, er fährt wieder runter.

Das hätte mir eigentlich eine Warnung sein können. Als ich etwas später auch runter fahre, wird der Weg immer schmaler und ganz schön steil, uiuiui! Aber es ist nicht rutschig, ich fahre sehr langsam und ich sitze auf dem Roller ja so tief, dass ich locker mit beiden Füßen auf den Boden komme, falls nötig.
Und so klappt das auch ohne jegliche Probleme. Zwei Minuten später komme ich schon aus dem Wald raus. Unter mir thront die Kapelle hoch über dem Dorf.

Ich mache hier noch mal eine Pause und tanke Sonne. Dann kommt langsam der Hunger und ich rolle zurück nach Hause.

Was für ein wunderschöner Ausflug, was für ein Balsam für meine Seele! Als ich wieder in meiner Wohnung bin und alles verräumt hab, sagt die Uhr, dass ich während der gesamten Zeit nicht mehr Energie verbraucht hab, als wenn ich nur hier vor dem Rechner gesessen hätte! Ich bin so dankbar für diesen Vormittag!

Nachtrag Mittwoch morgen:
Die Nacht war unruhig. Und heute morgen ist die Uhr überhaupt nicht begeistert: Meine Zellen hatten nachts Stress und konnten sich nur wenig erholen. Also heute mal wieder sehr vorsichtig sein. Hoffentlich stabilisiert sich das wieder!

Leichtigkeit ist echt anders. Aber den Tag gestern kann mir immerhin niemand mehr nehmen.

1 Gedanke zu „Verbundenheit“

  1. Hallo Klaus, ich wünsche mir und dir, dass du noch viele solcher Ausflüge machen kannst und uns mit diesen fantastischen Bildern versorgst.
    Liebe Grüße, Andrea

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