Zwei ruhige Tage hinter mir. Für heute, Mittwoch, sind Sonne und 15 Grad angekündigt. Eine perfekte Ausgangslage für die nächste Stufe. Ich packe Vesper ein und einen Liter Wasser und bin bereit. Wohin soll es nun gehen? An den Altrhein? Oder weiter hoch ins Kinzigtal? Ich entscheide mich für Letzteres.
Es ist ein wunderschöner Morgen, die Sonne ist grade aufgegangen. Ich gehe es gemütlich an und versuche es so, wie ich es bisher mit dem NIU gewohnt war: Sobald ich was Schönes sehe, halte ich an und fotografiere. Jetzt mit der Forza fahre ich aber nicht mehr auf dem Landwirtschaftsweg sondern auf der Straße. Da gibt es schon auch immer wieder Stellen, wo ich abbiegen oder rechts ran fahren kann. Aber das ist halt meist ein Stückchen weiter. Wenn ich dann öfter 50m zurück gehen muss, läppert sich das sehr schnell.
Auch doof: ich halte an und die Sonne ist schon wieder hinter einer Wolke verschwunden. Dreimal passiert mir das, bevor ich überhaupt Gengenbach erreicht hab. Ärgerlich! Da muss ich mir eine neue Strategie überlegen.
Dafür komme ich halt viel schneller voran. Ruck zuck bin ich an Gengenbach vorbei. An einer wunderschön blühenden Streuobstwiese halte ich an und fotografiere. Dann bleibe ich eine ganze Weile sitzen, einfach weil der Moment perfekt ist.
Das nächste Ziel ist der kleine See hinter Biberach, wo ich die Tage schon war. Heute passt die Uhrzeit besser, trotzdem regt sich da kaum was. Also breche ich bald wieder auf.
Ich fühle mich gut, und mir kommt eine Idee: Ich könnte hier links abbiegen, das Harmersbachtal ein Stück hoch fahren und dann rechts hoch zu den Nillhöfen. Da kann ich schauen, wie die Forza die Steigung schafft. Es ist landschaftlich sehr schön da. Und es zieht mich ja eh die Berge hoch. Schwarzwälder halt. Das ist der Plan!
In Zell esse ich vorher noch gemütlich mein Vesper, schaue dem werktäglichen Treiben zu. Hoch über mir steht ein Storch dekorativ auf einer Giebelspitze. Als ich mich ausgeruht hab, schwinge ich mich wieder in den Sattel. ‚Aufi gehts!‘
Den Weg kenne ich noch von früher. Da bin ich diese Strecke manchmal mit dem Mountainbike gefahren, wenn ich meine Eltern in Fischerbach besucht hab. Eine andere Zeit…
Als ich höher komme, verändert sich die Landschaft. Abgelegene Höfe schmiegen sich an die Hügel, dahinter beginnt der Wald. Die Forza schnurrt gemütlich voran. Schnell braucht sie hier auch nicht sein. Es ist eng und kurvig, niemand außer mir ist unterwegs und ich will ja auch was sehen.
Der Wald verändert sich nun mit der Höhe. Die Fichten sehen zerzauster aus, entlang kleiner Bäche ist alles mit dichtem Moos gepolstert.
Dann wird der Wald lichter. Heidelbeersträucher nutzen das Licht, zwischen den Bäumen liegen bis zu metergroße Felsbrocken herum. Die Luft ist klar und frisch.
Nun hab ich den Gipfel erreicht, die Straße führt wieder leicht abwärts. Als ich aus dem Wald heraus rolle, liegen die Nillhöfe vor mir. Hier waren wir früher im Winter manchmal Schlitten fahren, wenn Papa es mit dem NSU Prinz die schnee- und eisglatte Straße hoch geschafft hat. Echt wahr, sowas gab es damals!
Ich fahre talabwärts. Es ist seltsam: Wenn ich die Bremse löse, rollt die Forza los, ohne Widerstand, immer schneller, bis ich wieder bremse. Wenn ich aber Gas gebe, löst die Fliehkraftkupplung aus und der Motor bremst die Maschine auf etwa 40km/h herunter. Dann kann ich das Gas auch loslassen und der Motor bremst weiterhin. So ganz hab ich noch nicht durchschaut, wann die Maschine selber ein- und auskuppelt.
Als ich Fischerbach erreiche, wird mir schon ein bisschen anders. Ich war krankheitsbedingt seit vier Jahren nicht mehr hier. Bahnfahren zu anstrengend, der NIU zu wenig Reichweite. Inzwischen leben auch meine Eltern nicht mehr hier. Was bedeutet mir der Ort dann noch?
Sozial war ich nie sehr in der Gemeinde verwurzelt. Ich war in keinem Verein und auch sonst nicht engagiert. Aber die Landschaft hab ich in mir. So viele Spaziergänge, Wanderungen, meine damalige Joggingrunde durch den Wald. An jeder Ecke so viele Erinnerungen!
Ich gehe auch in die Kirche rein. Im ersten Moment bin ich ganz ergriffen. Aber nach einer Minute erkenne ich, dass sich hier nichts verändert hat. Ich kenne wirklich jede Ecke, jede Figur, jede Malerei, jedes Fenster. So viele Stunden Langeweile während der grob überschlagen 700 Gottesdienste hier! Aber wenn wir Kinder nicht mehr in die Kirche gegangen wären, hätte Mama auch keinen Sonntagmorgen-Kuchen mehr gebacken. Da musste man halt Prioritäten setzen! 🙂
Nun ist es genug, ich mache mich auf die Heimfahrt. Es läuft gut, ich bekomme immer mehr das Gefühl für die Forza. In Gengenbach hole ich mir einen Happen zu Essen, dann Endspurt. Meine Konzentration lässt langsam nach und ich bin froh, als ich zuhause ankomme. Das war jetzt mit über 80km eine ordentliche Runde! Nachdem ich meine Sachen verräumt hab, mache ich einen Mittagsschlaf.
Als ich aufwache, geht es mir nicht gut. Der Rest des Körpers ist okay, aber mein Kopf schwirrt. Ich kann kaum einen klaren Gedanken fassen, ein nerviger Ausschnitt eines Songs läuft stattdessen in Endlosschleife. Es fühlt sich an, als würde die Schädeldecke rotieren und gleich davon fliegen. Ich stehe auf, halte den Kopf unter den Wasserhahn. Ich versuche zu meditieren, nichts hilft. Mist! Ist das ein Crash? Hab ich mich mit dem Ausflug heute über die Klippe geschubst?
Ich esse einen Berg Spaghetti Bolognese, trinke Wasser, sehr viel Wasser. Und ganz langsam klart sich mein Kopf auf. Am späten Nachmittag fühle ich mich etwas müde, aber eigentlich wieder normal. Bis dahin hab ich an diesem Tag über vier Liter Wasser getrunken! An normalen Tagen sind es 1,5 bis 3 Liter. Anscheinend brauche ich das, damit mein Blut dünn genug bleibt und die Zellen Nachschub an Glukose und Sauerstoff bekommen. Das Aspirin setzt ja auch an dieser Stelle an.
Uff, noch mal Glück gehabt. Ich bin so dankbar!