Ich bin spät dran. Sorry, aber morgens ist noch es echt eisig, und falscher Ehrgeiz hilft ja niemandem. Nachdem die Sonne draußen schon mal ein bisschen vorgewärmt hat, mache ich mich auf den Weg. Kein konkreter Plan, vielleicht mal wieder zu den Unterwassermatten, bevor das Gras so hoch gewachsen ist, dass man die Vögel nicht mehr sieht?
Kurz vor Schutterwald sehe ich, dass da draußen noch dichter Nebel hängt. Ja, das könnte spannende Bilder geben, aber ich brauche heute Sonnenlicht! Also biege ich rechts ab zum Schutterwälder Baggersee. Als ich das letzte mal dort war, hatte ich noch gar keine brauchbare Kamera.
Ich kann ja einfach mal schauen, was das so schwimmt und fliegt. Und vielleicht gute Stellen finden, von wo ich irgendwann mal die Schwimmbagger vor dem Abend- oder Morgenhimmel gut ablichten könnte. Ja, kitschig, aber sieht sicher gut aus.
Es wird ein wirklich schöner Tag! Ich fahre einmal fast komplett um den See herum und mache ein paar Testbilder von den Anlagen des Kieswerks. Es sind zwar wenig Vögel unterwegs, aber das Seeufer ist zum Teil echt schön, da komme ich sicher mal wieder her. Ich setze mich auf ein Bänkchen und esse gemütlich ein paar der mitgebrachten Walnüsse.
Dann höre ich aus dem Gestrüpp einen wirklich beeindruckenden Vogelgesang. Sowas hab ich noch nie gehört! Enorm abwechslungsreich und melodisch, und vor allem brutal laut! Die Amseln drumrum zwitschern zwar auch aus voller Kehle, jetzt ist ja Zeit für die Brautschau. Aber dieser versteckte Musiker klingt, als hätte er eine 300-Watt-Gesangsanlage dabei!
Ich nehme das Smartphone und rufe BirdNET auf, eine Vogelstimmen-App. Die zeichnet den Gesang übers Mikro auf und sucht in der Datenbank, was das für ein Exemplar sein könnte.
Die Antwort haut mich fast um: ‚Nachtigall. Sehr sicher.‘
Ich kenne die nur aus Romeo und Julia. Ich hab im Leben noch nie eine gehört oder gesehen! Ich will mich etwas näher ran pirschen, da kommt eine Nordic-Walkerin vorbei und telefoniert über die Ohrstöpsel. Die Nachtigall verstummt. Mist!
Grade, als der Vogel nach etlichen Minuten wieder anfangen will, kommt die Frau zurück gestochert, sie telefoniert immer noch. Menno! Aber das hier ist halt ein Naherholungsgebiet.
Ich warte weiter, dann dreht die Nachtigall wieder richtig auf. Und diesmal sehe ich sie! Die ist ja winzig! Meine Güte, wo holt die dieses Klangvolumen her???
Sie hockt in einem Baum, dessen Laub noch nicht draußen ist. Ganz aufgeregt versuche ich, sie zu erwischen. Ziemlich weit weg, der Autofokus scheitert an den vielen Zweigen. Also manuell mit 500mm Brennweite plus 5fach-Bildvergrößerung fokussieren. Der Bildstabi der Objektive heutzutage ist zwar bemerkenswert gut, aber bei der Vergrößerung werde ich dabei trotzdem fast seekrank. Die Nachtigall hüpft auf einen anderen Zweig, ich gehe sehr vorsichtig ein paar Schritte zur Seite und finde sie wieder. Weitere Versuche. Hoffentlich ist da was Brauchbares dabei!
Kurz drauf fliegen noch einige Schwanzmeisen hektisch umher, eine erwische ich in einem ruhigen Moment auf einem Brombeerstrauch.
Als ich mich wieder auf den Rückweg mache, kommt mir ein Paar mittleren Alters entgegen spaziert. ‚Was machen Sie da? Für nackte Frauen fotografieren ist es noch zu kalt‘, sagt die Frau, ich glaube, nur halb im Spaß. Ich erzähle ihnen begeistert, dass ich eben eine Nachtigall gesehen hab! Das macht auf die beiden ungefähr so viel Eindruck, als hätte ich ihnen meine Steuernummer gesagt. ‚Kenne ich nicht, interessiert mich nicht.‘
Eine NACHTIGALL !!!
Menschen sind echt seltsam… 🙂
Klasse! Als wäre ich dabei gewesen. Danke 🙂
Danke dir!