Das Titelfoto dieses Beitrags hab ich 1996 in Australien aufgenommen. Mit einer kleinen Kompaktkamera, damals natürlich noch mit einem 36er-Farbfilm. Uluru, alias Ayer’s Rock, im Abendlicht. Stille, Weite, Grandiosität! Ein Traum vieler Menschen. Was für ein magischer Moment muss das damals wohl gewesen sein?
Na ja. Der gleiche Ort, zehn Minuten später, 20 Schritte nach hinten:
Nebenan wird eilig ein Buffet mit Sektgläsern und weißer Tischdecke aufgebaut. Hinter mir der große Busparkplatz. Unser Tourguide mahnt uns zur Eile: „Wenn die Busse mit den Japanern ankommen, werden wir überrannt.“
Ist das erste Foto eine Lüge? Nein. Am nächsten Morgen waren wir sehr früh wieder vor Ort, ganz nah am Fels und völlig alleine. Und da war sie tatsächlich, diese Magie.
Was will ich einem Betrachter zeigen? Beide Bilder sind wahr. Wer fotografiert, begibt sich zwangsläufig in dieses Spannungsfeld zwischen Dokumentation und Kunst, zwischen Objektivität und eigenem Erleben.
Aber selbst wenn das Motiv eigentlich ganz unzweideutig ist, kann man dieser Frage nicht entkommen, schon aus technischen Gründen:
In der Natur kann die Helligkeit extrem schwanken von total schwarz bis zum gleißenden Licht der Mittagssonne. Unsere Augen sind eingeschränkt. Zu viel Licht verbrennt unsere Netzhaut, und bei sehr wenig Licht sind wir fast blind, zumindest im Vergleich mit einer Eule.
Moderne Kamerasensoren erfassen nahezu den gleichen Helligkeitsbereich wie unsere Augen. Sämtliche Bildschirme, die wir so besitzen, können aber nur einen Bruchteil davon wiedergeben. Wir wollen ja gar nicht, dass sie so hell leuchten können wie das Tageslicht draußen. Das wäre sonst etwa so hell wie der Blitz einer Kamera direkt vor der Nase. Eklige Vorstellung, oder?
Das JPEG-Format wurde 1992 eingeführt, um die Datenmengen klein zu halten. Es speichert nur so viel Dynamikumfang in den Bilddateien, wie Displays auch anzeigen können. Wozu auch mehr? Der Rest der Daten vom Sensor wird unwiederbringlich verworfen.
Um es konkret zu machen: Das ist ein Foto, das ich kürzlich kurz vor Sonnenaufgang bei Zunsweier aufgenommen hab:
Der Himmel sieht genauso aus, wie ich ihn erlebt hab. Aber am Boden ist alles nur schwarz. Das ist der Helligkeits-Bereich, den eine JPEG-Datei speichern könnte. Ich hätte auch heller belichten können, dann wäre der Vordergrund gut sichtbar. Aber der Himmel wäre dann nur noch eine weiße Fläche gewesen. Auch nicht schön.
Natürlich könnte ich in einer Bildbearbeitung den Vordergrund heller machen. Aber dann würde aus der schwarzen Fläche einfach nur eine gleichmäßig graue ohne jede Details. Aus diesem Grund fotografiere ich gar nicht erst in JPEG, sondern im RAW-Format. Die Kamera filtert nichts weg, sondern packt alle Daten, die der teure Sensor fleißig eingefangen hat, in die Datei. Natürlich ist die dann größer als ein JPEG.
Diese RAW-Datei muss ich in eine RAW-Entwickler-Software laden und dort bearbeiten. Ein bisschen wie früher im Fotolabor. Ich kann z.B. sagen, dass die dunklen Bereiche etwas heller gemacht werden sollen. Und dann tauchen die Details, die ja alle noch in der Datei drin stecken, plötzlich am Bildschirm auf. Es ist ein und die selbe Ausgangsdatei wie beim Bild oben:
Das haut mich immer wieder um, es fühlt sich an wie Zauberei! Ich schiebe die Helligkeitsbereiche so weit zusammen, dass sie in den schmalen Bereich passen, den ein Display darstellen kann. Smartphone-Kameras machen das zum Teil automatisch (HDR-Modus), übertreiben es aber leider meistens damit.
Und nun? Die Datei ist verändert. Dafür sieht das Bild jetzt ungefähr so aus, wie ich es mit meinen Augen an jenem Morgen gesehen habe. Was ist jetzt echt? Was ist die Wahrheit?
Natürlich könnte man noch viel weiter ‚optimieren‘. Es gibt inzwischen RAW-Konverter-Software, die mit Hilfe künstlicher Intelligenz mit einem Klick einen ganz anderen Himmel einbauen kann. Das ist dann definitiv nicht mehr das, was die eigenen Augen vor Ort gesehen hatten. Die selbe Software könnte auch ein Reh oder eine Giraffe ins Bild retouschieren und die Licht- und Schattenverläufe passend zum Bild realistisch drauf rechnen. Wenn man das sieht, wird einem ganz anders. Welchen Bildern kann man heutzutage noch trauen?
Wo ist die Grenze? Ab wann ist ein Bild nicht mehr wahr? Darüber wird unter Fotografen tatsächlich heftig und leidenschaftlich diskutiert.
Wo es keine harte Grenze gibt, muss sie jeder für sich selbst definieren. Es ist wie so oft im Leben: Die Wahrheit kommt nicht frei Haus. Es gibt kein Wasserzeichen, an dem wir sie jederzeit eindeutig und fälschungssicher erkennen können. Wir müssen sie uns über Informationen, Kontext, eigene Erfahrung erschließen und erarbeiten. Das ist oft mühsam, aber dafür müssen wir dann nicht an wilde Giraffen in Zunsweier glauben…