Eben hat Stefan, ein Freund von mir, den ich aus der ME/CFS-Selbsthilfegruppe kenne, in seinem Blog einen Beitrag veröffentlicht: „Der Käfer ist nicht gefangen und ich „bin“ nicht krank„. Als wir unsere jeweiligen Blogs angefangen haben, kannten wir uns noch gar nicht. Seit wir in Kontakt sind, wundern wir uns immer wieder, wie oft wir gleichzeitig an sehr ähnlichen Themen arbeiten. Manchmal ist mir das schon fast unheimlich. Synchronizität…
Stefan beschreibt in seinem Beitrag (wie ich es verstanden hab) eine buddhistische Perspektive auf sich, das Leben und die Krankheit. Auf einer tieferen Ebene existiere demnach nichts wirklich. Wenn wir sagen: ‚Ich bin krank‘, dann verfestigen wir das System. Wir schreiben dem Zustand ‚Krankheit‘ eine Dauer und Bedeutung zu, die er vielleicht gar nicht hat. Stefan versucht, sich von dieser Identifikation zu lösen, um das System ‚Leben‘ offen zu halten.
Als ich vor einigen Tagen mit einer Freundin telefoniert hab, meinte sie irgendwann, die Krankheit sei ja auch irgendwie ein Job. Ich hatte gestutzt, dann ist dieses Bild bei mir eingerastet. Es stimmt irgendwie:
- Ich bekomme monatlich Geld, weil ich krank bin. Ich bestreite sozusagen mein Auskommen damit.
- Früher hatte ich täglich etliche Stunden nicht für mein Privatleben zur Verfügung, weil ich bei der Arbeit war. Heute hab ich ebenfalls etliche Stunden, die ich nicht nach Lust und Laune nutzen kann, weil die Energie krankheitsbedingt alle ist.
- Im Zweifel geht die Arbeit vor. Wenn der Chef etwas anordnet, muss man sich fügen. Das ist auch mit der Krankheit so. Diskussion zwecklos.
- Wenn mich früher jemand gefragt hat, was ich so mache, dann war meine Antwort meist: „Ich bin Finanzbeamter und nebenher Coach für ABs“. Heute sage ich: „Ich hab ME/CFS und bin Frührentner“.
- Die Krankheit hab ich mir nicht ausgesucht. Den Beruf damals auch nicht wirklich. Ich war 16 und hatte keine Ahnung. Ich hatte die Bewerbung geschrieben, weil man das halt so tut, sie hatten mich eingestellt, und so war das Amt plötzlich meine neue Realität. Zum Glück war es eine gute.
- Vor der Krankheit haben Bürger bei mir im Amt angerufen, wenn sie Hilfe mit dem Elster-Programm gebraucht haben. Oder Kollegen taten das, wenn sie Probleme mit der IT hatten. Heute helfen wir uns in den Selbsthilfegruppen gegenseitig mit Infos und Kontakten. Das ist für mich eine recht ähnliche Energie. Austausch, konstruktive Problemlösungen, Dankbarkeit.
Wenn ich könnte, würde ich natürlich sofort die Krankheit kündigen und wieder in meinem alten Job anfangen. Aber an wen soll ich das Schreiben adressieren?
Selbstverständlich sind Beruf und Krankheit nicht wirklich miteinander vergleichbar. Ich hab aber gestaunt, wie stimmig dieses Bild sich für mich anfühlt. Ja, ich identifiziere mich damit, dass ich krank bin. ME/CFS ist im Alltag ungefähr so real wie die Schwerkraft. Ich hatte lange gebraucht, das – und damit mein neues Leben – zu akzeptieren.
Mein Zustand muss nicht so bleiben. Ich hab durchaus Hoffnung, dass in absehbarer Zeit ein Medikament entdeckt wird, das mich und die anderen Betroffenen wieder gesund machen kann. Wie groß die Chancen sind, kann ich nicht einschätzen. Ich hänge mich nicht daran auf, es ist nur eine Möglichkeit. Es ist auch möglich, dass sich meine Verfassung mit der Zeit von selbst bessert. Oder eben, dass sie langsfristig so bleibt. Im Moment ist mein Zustand stabil.
Ich arbeite jeden Tag mit dem, was ich grade hab und mache das Beste draus. Das funktioniert derzeit ziemlich gut. Natürlich bin ich öfters mal unzufrieden und ungeduldig. Aber ehrlich gesagt – und so fair muss man sein – war ich das vor der Erkrankung auch schon.