Ein übles Clickbait, ich geb’s ja zu. Es geht hier natürlich nicht um Sex, sondern um Schach. Seit ein paar Monaten spiele ich fast jeden Tag ein oder zwei Partien gegen mich selbst auf dem Brett oder gegen einen Online-Schachcomputer. Ist einfach interessanter als Puzzles.
Außerdem hab ich mir schon etliche youtube-Tutorials angeschaut. Man denkt ja, da sitzt dann ein alter Mann und doziert knochentrocken die korrekten Züge, die man auswendig zu lernen hat, sollte man sich denn wirklich anmaßen wollen, Schach zu lernen. Sowas gibt es schon auch. Aber dann stolpert man z.B. über Levi Rozman alias ‚Gotham Chess‚. Der Kerl ist grade mal 27, Internationaler Meister (das ist die Stufe unterhalb von Großmeister), und ich finde den so witzig und leidenschaftlich, dass ich mir manchmal seine Videos anschaue, auch wenn mich Schach grade gar nicht interessiert.
Langsam wäre es Zeit, mit anderen Menschen zu spielen. Es gibt in Offenburg einen Schachclub. Aber will ich da hin? Für einen ganzen Abend Schach reicht meine Ausdauer nicht. Zum Glück leben wir im Internet-Zeitalter. Man muss gar nicht mehr in einen Verein gehen.
Es gibt Plattformen, wo man sich ganz einfach kostenlos anmelden kann. So wie Lichess zum Beispiel. Da sind jederzeit weltweit Tausende Leute online. Man wählt aus, was man spielen will und bekommt jemanden zugewiesen. Oder man spielt gegen den Computer.
Hinterher kann man eine Analyse starten und das ganze Spiel noch mal ganz in Ruhe mit dem Computer durchgehen. Welche Züge waren unsauber oder gar grottenfalsch? Welcher Zug wäre besser gewesen? Welche Seite hatte im Spiel wann die Oberhand? Das ist echt cool!
Und der Schach-Algorithmus, der da am Werk ist, ist kein geringerer als ‚Stockfish‘. Das ist die derzeit leistungsfähigste Schach-Engine weltweit. Zum Vergleich: Der Norweger Magnus Carlsen, seit 2013 durchgehend Weltmeister und wohl zweitstärkster Spieler aller Zeiten, kommt auf eine Bewertung von knapp 2.900 ELO-Punkten. Stockfish liegt bei über 3.500. Da sind Lichtjahre dazwischen! Und wie gesagt – das ist trotzdem komplett kostenlos für jeden. Keine Werbung, kein Abo, einfach so.
Stunde der Wahrheit
Gestern Abend hab ich mich dann eingeloggt. Tief durchgeatmet. Und das erste Spiel gegen einen anderen Menschen gestartet. Und sofort großer Schreck! Ich bin ja total neu, also hat Lichess meine Spielstärke einfach mal seeeehr großzügig angesetzt mit 1.500! Und mir einen Partner zugewiesen mit über 1.800! Aber Bangemachen gilt nicht, der Typ kennt mich ja eh nicht.
Also gut, ich fange mit Weiß an. Und gleich der erste Gegenzug überrumpelt mich. Keine Ahnung, was ich damit anfangen soll? Ich stümpere ohne Konzept drauf los und versuche, dabei keine Totalkatastrophen zu begehen. Keine Figuren verschenken, keine großen Löcher in der eigenen Stellung aufreißen und so. Ich wundere mich, dass mein Gegenspieler immer wieder relativ lange nachdenkt. Wahrscheinlich vermutet er eine total abgefahrene Strategie bei mir. 🙂
Im Mittelspiel verliere ich deutlich an Boden und kann nichts dagegen machen. Das Spiel zieht sich erstaunlich lange, dann hab ich keine Chance mehr und gebe auf. Das heißt, ich muss erst den Gegner im Chat fragen, wie das hier technisch überhaupt funktioniert. Er hilft mir, bedankt sich und ist raus. Das war also mein erstes Mal!
Nach dem Spiel gehe ich in die Analyse. Ziemlich früh hab ich einen Zug gemacht, der mich dramatisch in Nachteil gebracht hat. Und kurz drauf noch so einen. Das war schon mein Untergang. Aber nur zwei falsche oder unsaubere Züge in einem recht langen Spiel? Das wäre ja fantastisch! Und wenn ich ehrlich bin, kann ich immer noch nicht verstehen, weshalb die beiden Züge falsch waren. Keine Schlamperei oder so. Ich müsste wahrscheinlich über sieben Züge voraus denken können, um das Falsche daran zu erkennen. Das ist ja die große Stärke der Algorithmen: Die können so viele Züge voraus rechnen, wie die CPU Power hat. Und diese Plattformen laufen nicht grade auf kleinen Notebooks. Weil Menschen das nicht können, gibt es jede Menge Schacheröffnungen, die gute Spieler halt doch auswendig lernen. Aber darauf hab ich mal gar keinen Bock! Da könnte ich ja auch gleich Französisch lernen.
Also ja, ich hab klar verloren, aber mich erstaunlich gut geschlagen. Das nächste Spiel werde ich trotzdem besser werten lassen, damit Lichess mich realistisch einordnen kann. Vielleicht kann ich dann auch mal irgendwann ein Spiel gewinnen. 🙂